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Radiogeschichten

von Siegfrid Petersen

Mein erstes Radio, das war für mich natürlich das erste, das mir ganz allein gehörte, und da muss ich so etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein.

Das erste, dem ich begegnete das war viel früher. Mein Vater hatte (das muss wohl 1932 und ich etwa vier Jahre gewesen sein) nach langer Arbeitslosigkeit durch Vermittlung unseres Hauswirtes eine Stelle als Hilfsarbeiter im Kabelwerk von Siemens gekriegt, und dort bot sich ihm die Möglichkeit, Erzeugnisse aus der Haushaltsgeräte-Produktion der Siemenswerke im eigenen Haushalt zu testen und anschließend verbilligt käuflich zu erwerben. Bei diesen Geräten war, außer Kochplatten, Elektrobacköfen und ähnlichem (womit Mutters Küche ausgestattet wurde), eines Tages auch ein schwarzer Kasten, für den ein endlos langer Draht durch den Garten gespannt werden musste und aus dem dann, genau wie aus dem Grammofon, das sonntags manchmal in Betrieb gesetzt wurde, Musik herauskam.

Eigentlich gefiel mir diese Kiste nicht; beim Grammofon konnte man sich die Musik aussuchen, die war auf so schwarzen Platten drauf, die in bunten Umschlägen steckten, aber beim Radio musste man sich anhören, was gerade kam, sogar, wenn nur jemand eine Ewigkeit lang redete, und wenn man ausmachte und wieder einschaltete, dann ging es nicht an derselben Stelle weiter, sondern dann war die Musik inzwischen weitergegangen oder es kam überhaupt ganz etwas anderes.

Unser „Volksempfänger“ muss für die damalige Zeit wohl etwas ganz Besonderes gewesen sein; aus den nächsten und übernächsten Häusern und noch weiter die Straße hinab kamen Leute und wollten hören, wie er spielte, und wenn sie weg waren, schimpfte meine Mutter: „Tragen einem den ganzen Dreck in die Wohnung - man hat ja auch weiter nichts zu tun, als jedes mal die Stube wieder aufzuwischen -  so was Besonderes ist der Kasten doch nun auch wieder nicht!“ - aber stolz war sie doch, dass die Leute gerade zu uns kamen. Mit der Zeit gewöhnte man sich daran, dass da auf dem Küchenschrank dieser Kasten stand und immer vor sich hin dudelte, manchmal die gleichen Lieder, die meine Mutter beim Arbeiten sang, manchmal auch ganz andere, die einen richtig traurig machen konnten ( „Das sind Opern!“ kriegte ich erklärt) und meistens Märsche mit viel Pauken und Trompeten.

Die Musik und auch die Nachrichten und der Wetterbericht und das alles  kam aus dem langen Draht, den mein Vater durch den Garten gespannt hatte und der „Antenne“ hieß. Der fing die „Wellen“ aus der Luft auf und schickte sie in die „Röhren“, die in dem Kasten waren, und die machten dann Musik daraus. Ich sah aber in der Kiste keine Röhren, sondern Gebilde, die ähnlich wie die Glühbirne in der Tischlampe aussahen, und die auch (aber nur ganz schwach) rötlich leuchteten. Eben das seien ja die Röhren, wurde mir erklärt; und ich dürfte den Kasten niemals hinten aufmachen, sonst könnte ich einen Schlag kriegen und würde tot sein. Das war ja immer so - wenn etwas interessant war, dann war es auch gefährlich, und man konnte tot sein, wenn man es untersuchen wollte. Ein eigenes Radio müsste man haben. Konnte man so etwas nicht selber bauen?

Mit dem Radio kam die Rundfunkzeitung ins Haus. Die hieß „Berlin hört und sieht - und raucht Juno!“ Dass der Teil des Satzes hinter dem Bindestrich nur Reklame war und nicht zum Titel gehörte, wurde mir erst etwas später klar; anfangs dachte ich tatsächlich, die Zeitung hieße so.

In der Rundfunkzeitung stand drin, welcher Sender wann welche Musik spielte (damals wurden tatsächlich noch alle Musiktitel, die zu einer Sendung gehörten, aufgeführt), es stand aber auch immer wieder mal drin, wie so ein Radio eigentlich funktionierte, und es stand drin, was man alles machen konnte, damit das Radio und speziell der Volksempfänger, den wir hatten, besser als vorher spielen sollte. Letzteres war Anlass für meinen Vater, irgendwelche Zusatzgeräte an dem Radio anzubringen, eines hieß „Sperrkreis“ und sollte die Sender besser auseinander halten, ein anderes hieß „Antennenumschalter“ und machte, dass man nicht immer den Antennenstöpsel an der Seite hin und her stecken musste, wenn man einen anderen Sender einstellte; und dann wurde die Antenne länger gemacht, und dann wurde die „Erde“ von den Metallbetten ab und an die Wasserleitung angeklemmt, und, und, und….., ich erinnere mich noch, dass er uns eines Tages eine ganz leise und kratzende Stimme vorführte und behauptete, das sei „Radio Hilversum“, und der Sender stände in Holland, ganz weit weg, und den könne man eigentlich bei uns gar nicht hören . . .

Irgendwann stand in der Rundfunkzeitung auch, wie man sich ein Radio selber bauen könne, und das interessierte mich denn doch sehr. Ein eigenes Radio, das wäre schon was  . . .

Die Schwierigkeiten dabei begannen aber schon damit, dass zwar im Untertitel behauptet wurde: „Alle Bauteile im Selbstbau!“, dass aber der Besitz eines Kopfhörers vorausgesetzt wurde, und dass man sich einen „Detektor“ in einem Rundfunkladen kaufen sollte. Kaufen - wo wir doch nie Geld hatten  . . .

Ich riss mir die Seite mit dem Artikel aber trotzdem heraus - später mal  vielleicht, wenn ich groß sein würde - und legte sie in meine Spielzeugkiste, und da wanderte sie immer weiter nach unten und wurde schließlich vergessen.

Jahre vergingen. Mutter und Vater hatten sich scheiden lassen, dann war erst Vater aus- und anschließend Mutter mit uns Kindern umgezogen. Vater hatte den Volksempfänger von damals mitgenommen, und das Geld war noch knapper geworden, als es ohnehin schon immer war. Aber es war Krieg, und ein Radio war schon wegen der „Luftlagemeldungen“ noch viel wichtiger als vorher. Also machte es Mutter irgendwie möglich und kaufte für 35 Reichsmark einen Kleinempfänger, einen „DKE“, der mit nur einer Röhre natürlich auch nur die nächstliegenden Sender empfangen konnte,  aber wir konnten nun selbst hören, ob „feindliche Kampfverbände im Anflug auf den Harz“ waren, oder ob „über dem Reichsgebiet keine feindliche Flugtätigkeit“ stattfand.

Wer einen besseren Apparat hatte, das wusste ich von Schulkameraden, der konnte auch den „Flakleitsender Halle“ empfangen und war dann viel besser informiert, denn dieser Sender meldete auch kleinere Verbände, und er meldete sie auch über kleineren Städten. Wir hatten aber eben nur den DKE, und dem half auch keine Antenne bis oben auf den Berg (die mir der nächste Sturm sowieso wieder abrisss) und weitere Basteleien ließ Mutter an ihrem „teuren Apparat“ auf keinen Fall zu. Der Flaksender war für mich unerreichbar  . . .

Da fiel mir eines Tages die nun schon fast zehn Jahre alte Seite aus der Rundfunkzeitung wieder in die Hand. Ein Radio zum Selbstbauen, ob das die Lösung war?  Man musste es einfach mal ausprobieren. Die Probleme von damals hatten sich mittlerweile gelöst: irgendwann hatte ich einen alten Telefunken-Kopfhörer von einer Funkstation aus dem Krieg 14/18 aufgestöbert, und jetzt wusste ich auch, dass ein „Detektor“ im wesentlichen aus einem Bleiglanzkristall und einer Metallspitze bestand. Na, und Bleiglanz lag auf den alten Halden im Wald genug rum, da müsste man sich so etwas doch selber zusammenstellen können  . . .

Also kramte ich mir zusammen, was da auf der alten Zeitungsseite so an Material gefordert wurde: zwei leere Konservendosen, etwas Pergamentpapier, diverse Meter Klingeldraht und eine Papprolle vom Toilettenpapier. Die war am schwersten zu beschaffen, denn wir kauften kein Toilettenpapier, ich musste immer den „Stolberger Anzeiger“ in handgerechte Stücke zerlegen und auf Bindfaden auffädeln  . . .

Dazu also, wie gesagt, ein Stückchen Bleiglanz von der Halde des „Silbernen Nagel“ und die Anstecknadel eines Winterhilfsabzeichens und dann konnte es losgehen. Mit dem Klingeldraht wurden 75 Windungen auf die Klopapierrolle aufgebracht  und das sollte dann die Spule sein. Das war eigentlich ganz einfach, der nächste Schritt zeigte sich schon komplizierter. Aus den beiden Konservendosen wurden die Böden heraus geschnitten - das ging mit dem Dosenöffner noch verhältnismäßig einfach -und dann wurden die Mäntel aufgetrennt und die Falze an den Seiten abgeschnitten. In Ermangelung einer richtigen Blechschere musste dazu Mutters große Schneiderschere herhalten, und zu dieser Prozedur musste Mutter natürlich grade dazukommen, was mir eine gepfefferte Standpauke einbrachte. Mutter hatte gar kein Verständnis für meine Probleme, und dass sie mir androhte, die Schere auf meine Kosten schleifen zu lassen, war noch das Erträglichste; ich hatte ja sowieso kein Geld  . . .


Um aus den erhaltenen Blechtafeln den Kondensator zu bauen, musste an jeder der beiden ein Draht angebracht werden. Eigentlich sollte diese Verbindung ja gelötet werden, aber bis zum Lötwerkzeug hatte ich es noch nicht gebracht; also schlug ich mit Hammer und Nagel Löcher in jeweils eine Ecke und klemmte die Drähte mit Schrauben und Muttern aus dem Stabilbaukasten fest. Dann wurde eine der beiden Tafeln in der Mitte zusammengefaltet wie ein Briefbogen, in den Raum dazwischen kam der ebenfalls gefaltete Bogen Pergamentpapier und dazwischen die zweite Blechtafel. Nun konnte man diese Tafel mehr oder weniger tief in den Zwischenraum hineinragen lassen, und damit sollte man dann den Sender einstellen.

Die meisten Schwierigkeiten machte mir der Zusammenbau des „Detektors“, aber irgendwie fand ich mit Hilfe eines alten Schuko-Steckers und zweier Krokodilklemmen, die ich mir von einem Freund schenken ließ, eine Lösung. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Teilen, die ja eigentlich alle gelötet werden sollten, stellte ich in bewährter Weise mit Schrauben und Muttern aus dem Stabilbaukasten her und dann lag das Ganze vor mir auf dem Tisch und sah eigentlich einem Stacheldrahtverhau ähnlicher als einem Radio. Egal, wie es aussah, ob es wohl spielte?

Um das festzustellen, war letzten Endes eine Gleichung mit zwei Unbekannten zu lösen - ich kannte die Stellung nicht, die die beiden Bleche zueinander haben mussten, und ich wusste von meiner Mutter, dass ihr Bruder in den zwanziger Jahren beim Experimentieren mit Detektoren stundenlang die Stelle auf dem Kristall suchen musste, die einen brauchbaren Empfang gab. Das stand mir jetzt also auch bevor  . . .

Antenne und Erde holte ich mir von unserem DKE - der Draht durch den Garten und die Wasserleitung - und dann setzte ich den Kopfhörer auf, schloss meinen Stacheldrahtverhau an und traute meinen Ohren nicht. Irgendwo weit weg  spielte Musik! Kein langwieriges Probieren, kein Suchen von irgendeiner günstigen Stelle, mein Radio spielte  . . . Nicht sehr laut, und nicht sehr schön, und wie viele Sender es empfangen konnte, traute ich mich gar nicht auszuprobieren, nur nichts verändern, alles so liegen lassen, wer weiß, ob es beim nächsten Mal auch so glatt geht  . . .

Aber wir hatten nur den einen Tisch in der Küche, und es sollte Abendbrot geben, und nach dem Zusammenräumen habe ich die bewusste Stelle wohl nicht mehr erwischt. Mein erstes Radio spielte ein einziges Mal und nie wieder  . . .

Immerhin wusste ich nun, dass ich Radios bauen konnte, und sammelte seitdem alles, was dazu Verwendung finden konnte. Der nächste Empfänger hatte dann schon einen richtigen Drehkondensator und eine Korbboden-spule, und es dauerte nicht lange, da baute ich ein Gerät in einer kleinen Holzkiste, die irgendwann mal Schweizer Stumpen und später dann Mutters Stopftwist enthalten hatte, und die man bequem transportieren konnte. Nur die lange Antenne, die konnte ich nicht transportabel machen.

Den Flaksender habe ich übrigens mit keinem meiner Radios empfangen können; aber als ich 1945 noch in letzter Minute Soldat werden und in den Krieg ziehen durfte, da habe ich die kleine Zigarrenkiste mitgenommen. In der Tegeler Kaserne, von deren Fenster aus wir den Sendeturm des „Reichssenders Berlin“ sehen konnten, genügte die Stahlfedermatratze unseres Doppelstockbetts als Antenne und die Zentralheizung als Erde; und so hatte ich das einzige Radio in der ganzen Kompanie - nicht mal auf der Schreibstube hatten sie eins - und jeden Abend kam Leutnant Depersdorf, unser Zugführer, zu uns in die Stube und setzte sich meine Kopfhörer auf, um Nachrichten und den „Wehrmachtsbericht“, den Tagesbericht des Oberkommandos der Wehrmacht, zu hören  . . .

Als wir Anfang März nach Wittstock verlegt wurden, ließ ich das Radio in Berlin zurück. Die Verlegung erfolgte in Fußmärschen; jeder musste sein Gepäck und seine Ausrüstung selbst tragen, und mir hatten sie als „Schützen Eins“ am leichten Maschinengewehr mit dem MG 15 sowieso schon rund 12 Pfund mehr als den Karabinerschützen aufgeladen, da wollte ich nichts Überflüssiges mitschleppen. Na, und dass in Wittstock, so weit weg vom Sender, die Federmatratze nicht als Antenne ausreichen würde,  das konnte ich mir an den fünf Fingern abzählen. Wie gesagt, das Radio ließ ich in Berlin liegen.

Immerhin lebte ich in der Vorstellung unseres Zugführers offensichtlich als „der Mann, der etwas von Radios verstand“. Nur so konnte ich mir erklären, dass ich, als wir in Liepe in der „dritten Linie der HKL Oder“ Stellungen schippten, eines Tages von ihm den Auftrag erhielt, „mir mal das Radio von Frau Soundso anzusehen“. Frau Soundso wohnte in einem der unseren Stellungen nächstgelegenen Siedlungshäuser, und wenn wir morgens zu unserer Schanzerei eingeteilt waren und die Arbeit lief, verschwand der Leutnant dort „natürlich zum Frühstück“, wie die Gruppenführer augenzwinkernd sagten.

Statt mich mit Spaten oder Schaufel in den märkischen Sand zu wühlen, sollte ich also der Frau Soundso das Radio nachsehen, das sich als großer "Vierröhren-Super" von Blaupunkt entpuppte. „Ich weiß auch nicht, sonst hat das Gerät immer ganz einwandfrei gespielt, aber seit ein paar Tagen schnarrt es immer so fürchterlich,“ sagte die Dame, die mir in Morgenmantel und Pantöffelchen die Tür öffnete.

Schnarrt immer so fürchterlich? Ich überlegte krampfhaft, dann stimmte irgendetwas in der Gleichstromversorgung nicht - wahrscheinlich ein Siebkondensator defekt und das konnte ich so einfach nicht reparieren; und dahingehend äußerte ich mich auch.

„Aber wenigstens mal anhören  . . .“ bat die Dame, und ich tat ihr den Gefallen und schaltete das Radio ein. Es spielte völlig normal.  „Aber sonst hat es immer geschnarrt, das können Sie mir glauben,“ sagte sie erstaunt  und wie auf Bestellung fing auch im gleichen Moment ein entsetzliches Geräusch an. Das war kein Netzbrummen, das waren irgendweIche Störungen -aber woher?

Mir fiel ein, dass ja zwei Häuser weiter die Funkstelle der im Ort stationierten Waffen-SS-Einheit war, und als ich das Fenster öffnete, konnte ich deutlich das Tuckern des benzingetriebenen Generators hören, der den Strom lieferte. Im gleichen Takt schnarrte das Radio  . . .

„Tut mir wirklich leid, aber dagegen kann ich nun gar nichts machen. Da muss bei der SS der Generator entstört werden, und ob die Kameraden dort dafür das nötige Material haben, ich glaube das kaum. Immerhin, wenn nicht gefunkt wird, können Sie ja richtig Radio hören.“ Damit wollte ich mich verabschieden.

„Aber Sie trinken doch für die Mühe, die Sie sich gemacht haben, noch ein Glas Wein mit mir? Rauchen Sie?“

Also, von Mühe konnte nun wirklich keine Rede sein, ich hatte das Radio ja nur eingeschaltet, und mit Schippe oder Spaten hinter dem Haus im Wald wäre die Mühe viel größer gewesen. Außerdem war uns, weil wir noch nicht achtzehn Jahre alt und somit noch Jugendliche im Sinne der einschlägigen Gesetze waren, auch als Soldaten der Alkoholgenuss und das Rauchen streng verboten; und schließlich wurde mir mit meinen sechzehn Lenzen die Frau in ihrem Morgenmantel immer unheimlicher. Sollte sie sich doch an den Leutnant halten, wenn der zu ihr frühstücken kam  . . 

Ich sagte militärisch vorschriftsmäßig: „Bitte, mich entfernen zu dürfen!“ und bekam ganz im Stile unserer Rekrutenausbildung ziemlich ungnädig zur Antwort: „Machen Se schon, daß Se wegkomm’, haun Se ab, Mann!“ Ich konnte doch nichts dafür, dass die Dame nicht Radio hören konnte  . . .

Wenige Tage später fiel die Stromversorgung für den ganzen Ort aus, die Russen sollten irgendein Schöpfwerk besetzt haben, wo der zuständige Transformator stand und damit hatte sich das Problem sowieso von selbst erledigt. Aber offensichtlich hatte der Leutnant bei seinen Besuchen nicht nur gefrühstückt „oder so“, sondern tatsächlich auch Radio gehört, und das ging nun nicht mehr. Jedenfalls ließ er mich in seinen Bunker kommen:
„Sagen Sie mal, Petersen, was macht eigentlich die kleine Zigarrenkiste, mit der Sie in Tegel Radio gehört haben? Was denn, die haben Sie in Berlin liegen lassen? Na ja, stimmt schon, seitdem sind wir ein schönes Stück marschiert. Können Sie sowas nicht noch mal bauen? Man weiß ja gar nicht mehr, was in der Welt los ist, wenn man keine Nachrichten hören kann . ." 

Bauen sollte nicht das Problem sein, nur woraus? Radios aus Konserven-büchsen und Klopapierrollen hatte ich mir schon lange abgewöhnt, und selbst für so etwas brauchte ich mindestens den Kopfhörer; den Detektor, hatte ich kürzlich gelesen, sollte man auch mit geknülltem Stanniolpapier und einem Stück gut gespitzter Bleistiftmine improvisieren können.

„Gehen Sie einfach mal ins Dorf  auf der linken Seite habe ich ein Schild von einem Elektriker gesehen, vielleicht hat der, was sie brauchen?“
Das Schild hatte ich auch schon gesehen, es bot „Elektroinstallationen für Licht und Kraftanlagen“ an, aber der zugehörige Laden sah ziemlich leer aus; vermutlich war der Elektriker Soldat und das Geschäft „wegen Einberufung geschlossen“. Ich zog trotzdem los. Von solchen Aufträgen sagten die Landser (und als solche kamen wir uns nach fast einem Vierteljahr Dienstzeit durchaus vor): „Das geht alles vom Krieg ab . . .“ - und dementsprechend versuchte man, sich dabei möglichst viel Zeit zu lassen.

Die Frau, die auf das Scheppern der Ziegenglocke hin, die die Ladenklingel ersetzte, ins Geschäft kam, hätte gut und gerne meine Großmutter sein können. „Also, von diesen Sachen verstehe ich nichts, das macht alles mein Mann, und der ist jetzt auf dem Acker. Da müssen Sie schon abends wieder kommen.“

Ich versuchte, durch Berufung auf meinen Zugführer meinem Anliegen etwas mehr Bedeutung zu geben, und erreichte schließlich, dass sie sagte: „Na, dann ist wohl am besten, Sie sehen mal selber nach. Kommen Sie mal mit.“

Auf dem Hof hinter dem Haus stand das übliche vieltürige Stallgebäude für jeden Mieter ein Ziegenstall, und über jeder Stalltür eine Luke für einen winzigen Heuboden. Vor der letzten Tür blieb sie stehen. „Hier oben hat mein Mann lauter solchen alten Krempel aufbewahrt. Nehmen Sie mal die Leiter da drüben und klettern Sie rauf  vielleicht finden Sie was, das sie brauchen können.“

Oben erwartete mich im Halbdunkel des Heubödchens ein ziemliches Durcheinander von Elektromaterial, in dem sich so auf den ersten Blick Kabelreste, kleine und größere Elektromotoren, Kraftstrom-Anlasser und die dazugehörigen Widerstände, Stern-Dreieck-Schalter, Verteilerdosen und ähnliches erkennen ließen. Dazwischen war wohl kaum etwas, das ich hätte brauchen können, nicht einmal irgendein altes Radio, das man als Lieferanten von Bauteilen hätte ausschlachten können.

Trotzdem kramte ich ein bisschen in dem Wirrwarr herum. Könnte ja sein, dass irgendwo in einem Pappkarton oder einer Holzkiste oder so noch irgendetwas an Kleinteilen wäre . . .. Da erscholl plötzlich unten im Hof eine brummige Männerstimme: „He, Sie, was treiben Sie sich denn da oben rum?“ und -als ich mich zum Eingang zurückgekämpft hatte und den Kopf durch die Luke steckte - „Was denn, ein Soldat, also Sie bleiben jetzt erst mal schön da oben sitzen, und ich schicke die Frau, die Feldgendarmen holen, die können sich mal ansehen, was Sie für ein Vogel sind. Ist ja noch schöner, jetzt plündern schon unsere eigenen Leute!“, und damit legte er die Leiter um und rief nach der Alten. Die kam und konnte dann allerdings sehr schnell klären, dass sie mir ja selbst den Schuppen und die Leiter gezeigt hatte.

„Na, wenn die Frau Ihnen das gesagt hat, dann ist das ja was anderes, dann kommen Sie erst mal runter. Aber  machen Sie die Luke wieder ordentlich zu!“, und damit legte er die Leiter wieder an. Als ich unten war und ihm mein Anliegen erklärt hatte, schüttelte er den Kopf. „Nö, so’n neumodischen Kram werden Sie bei mir nicht finden. Ich habe noch vor dem Krieg 14/18 gelernt, da gab es es noch kein Radio, und später habe ich mein Geld immer mit Installation verdient, und das hat hier auf dem Dorf gereicht.  Nö, ich wüsste auch nicht, wer Ihnen da helfen könnte, der nächste Radioklempner hat in Oderberg gesessen, aber der ist lange schon Soldat, und Oderberg ist ja auch schon geräumt  . . ..“

Also nichts. Die Frau lud mich noch zu einer Tasse Malzkaffee und einer Pflaumenmusstulle ein. „Ach wirklich, Sie sind erst sechzehn Jahre alt? So junge Leute haben doch immer Hunger, newahr?“, ich nahm dankend an, und die ganze Geschichte endete schließlich recht harmonisch. Der Alte wollte mit mir etwas fachsimpeln oder mich auf die Probe stellen, aber ich verstand nichts von Kraftstrominstallation und er nichts von Radios (ich ja eigentlich auch nicht sehr viel), jedenfalls trennten wir uns schließlich im Guten.

Nur, ein Radio kriegte der Leutnant nicht  . . .!

Detektor-Empfänger - entdeckt im Nachlass meines Schwagers,         kein Eigenbau, aber ein vermutlich 60 Jahre altes Schmuckstück!

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  Hintergrundmusik: Vortecs Creative Media - Klassik