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Es begann 1822 

Aus der Geschichte der Filialdirektion Hannover der                              Nordstern Versicherungs-Gesellschaften,                                 zusammengetragen und dargestellt von                                                                          

Karl-Heinz Striezel                                                                

Die Geschichte der Filialdirektion Hannover ist dadurch gekennzeichnet, dass sie als Betrieb wesentlich länger besteht als die Gesellschaft, deren Namen sie heute trägt. Die Filialdirektion ist entstanden aus der früheren Geschäftststelle der Vaterländischen Feuerversicherungs-Gesellschaft. Schon ein Jahr nach der Gründung dieser Gesellschaft, im Jahre 1823, wird in der Residenzstadt Hannover eine Agentur gegründet. Innerhalb der Stadt Hannover gibt es nur wenige Firmen, die ein so hohes Alter aufweisen können. Da im Zweiten Weltkrieg das Büro völlig zerstört wurde, gab es im Betrieb kaum Aufzeichnungen aus früheren Zeiten. So erschien mir der Versuch reizvoll, dem Werden der Filialdirektion nachzuspüren und ihre Geschichte wenigstens in großen und äußeren Zügen festzuhalten.

Die Anregung zu dieser Darstellung verdanke ich meinem früheren Chef, Herrn Dr. Ernst Bues, welcher mehr als vier Jahrzehnte die Filialdirektion leitete. Er hatte während seiner Dienstzeit damit begonnen Daten und Fakten zu sammeln, manches konnte er auch aus der Erinnerung beisteuern. Für die weiter zurückliegende Zeit habe ich auf die Literatur zurückgreifen müssen. Die dem Bericht zugrunde liegenden Informationen sind aus so vielen Quellen gekommen, dass das Auftreten von Irrtümern oder Fehlern trotz gründlicher Überprüfung nicht auszuschließen ist. 

Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Ernst Bues, den Kolleginnen und Kollegen, den ehemaligen Mitarbeitern des Betriebes und allen Außenstehenden, die mir in vielfältiger Weise behilflich waren. Ferner habe ich herzlich zu danken den Damen und Herren im Stadtarchiv Hannover, in der Stadtbibliothek Hannover und im Historischen Museum.

Schließlich soll diese Arbeit selber ein Dank sein an alle Mitarbeiter, welche im Laufe von über 150 Jahren durch ihre Arbeit im Außendienst und im Büro, einschließlich der ungezählten Vermittler und Agenten dazu beigetragen haben, dass aus kleinsten Anfängen einer Agentur eine angesehene und namhafte Geschäftsstelle der Nordstern-Gesellschaften werden konnte. 

Zur Geschichte:

Am 14. März 1822 wurde in Elberfeld die Vaterländische Feuerversicherungs Gesellschaft als eine der ersten Privat-Versicherungsgesellschaften gegründet. Es bestanden bereits die "Berlinische" seit 1812 die "Leipziger" seit 1819 und die "Gothaer" seit 1820.

Schon der von den Gründern gewählte Name "Vaterländische" hatte seine Bedeutung. Als Folge des großen Londoner Stadtbrandes von 1666 war zuerst in England der Gedanke der Feuerversicherung aufgekommen. Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden in London die ersten englischen Gesellschaften: Alliance, Crown-Life-Assurance-Comp., Royal-Exchange, The Sun-Life-Assurances-Soziation.

Bedingt durch die Personalunion zwischen der englischen und der hannoverschen Krone, fanden die englischen Gesellschaften sehr bald den Weg in das Königreich Hannover und in die anderen deutschen Länder, zumal überall der Bedarf für den Abschluss von Feuerversicherungen vorhanden war. Um den Engländern das Feld nicht alleine zu überlassen, fanden sich unternehmende und entschlossene Männer, welche die wirtschaftliche Bedeutung des Versicherungsgedankens erkannten und die Gründung der ersten privaten Gesellschaften betrieben.  

Damit man dem englischen Übergewicht auf deutschem Boden etwas entgegensetzen konnte, hatten die Gründer der Gesellschaft den Begriff des Vaterlandes gewählt. Das war sicher weitblickend, denn die Namen der etwa zur gleichen Zeit entstehenden anderen deutschen Privatgesellschaften wurden meist nach der Gründungsstadt gewählt oder nach dem Land, in dem man sich zunächst betätigen wollte, z.B. Berlinische, Leipziger, Gothaer, Aachener, Schwedter, Mecklenburgische, Württembergische usw.

Der spätere Erfolg der Vaterländischen, die im Laufe von 100 Jahren zu einer der namhaften deutschen Gesellschaften aufstieg, bewies, dass man bei der Wahl des Namens schon das rechte Gespür gehabt hatte.

So begann also die Vaterländische in Elberfeld 1822 ihren Weg. Offenbar hatte man den Namen auch als Programm aufgefasst. Man wollte sich mit der Arbeit und der Werbung nicht nur etwa auf die Rheinlande beschränken, sondern man strebte danach, sich in allen deutschen Staaten zu betätigen. Mit der Aufgabe der Ausweitung des Geschäftsbereiches wurde sehr bald ein Mitarbeiter betraut, dessen Name überliefert ist: Johann Wolfgang Ziegler aus Hanau, der den Titel "Reiseinspektor" führte. Er sollte Stützpunkte für die Gesellschaft in Form von Agenturen schaffen, die den Abschluss von Feuerversicherungen zu vermitteln hatten. Nebenher musste er aber auch Brandschäden regulieren.

Herr Ziegler wurde ab 1827 in Berlin stationiert, von wo aus er seine Organisationsreisen unternahm. 1830 übertrug man ihm die Generalagentur Berlin und verlieh ihm den Titel "Subdirektor". Es fällt uns heute sicher nicht leicht, uns von der Reisetätigkeit des Herrn Ziegler, und unter welchen Umständen dies geschah, eine richtige Vorstellung zu machen.

Schon im ersten Jahr nach der Gründung der Gesellschaft entstanden Agenturen in Köln, Düsseldorf, Mainz, Hamburg, Königsberg, Breslau, Stettin, Hof in Bayern und eben auch in Hannover. 1824 folgten Agenturgründungen in Berlin, Braunschweig, Magdeburg, Lübeck, Bremen, Stuttgart und München. Diese ungewöhnlich schnelle Aufbauarbeit war überhaupt nur möglich geworden, weil die Gesellschaft ihrem ersten Oranisations-Chef einen eigenen vierspännigen Reisewagen zur Verfügung stellte, mit dem er durch die Lande fahren konnte. An den damaligen "Fernstraßen" und Verkehrswegen waren in Entfernungen von 20 bis 30 Kilometern Gasthöfe und auch Poststationen eingerichtet, die zugleich eine genügende Anzahl Pferde zum Auswechseln bereit hielten. Auf diese Weise konnte man auch in der Zeit um 1823 und 1824 schon beträchtliche Strecken in vertretbarer Zeit zurücklegen.

Die vielen deutschen Länder waren jedoch nicht das einzige Reisegebiet des Herrn Ziegler. Durch ihre enge Geschäftsverbindung mit der ebenfalls in Elberfeld domizilierenden "Rheinisch-Westindischen-Kompagnie", hatte die Vaterländische schon im Jahre 1824 Auslandsverbindungen angeknüpft. Die "Kompagnie" war ein großes Im- und Exportunternehmen, das nicht nur in den europäischen Nachbarstaaten, sondern genau so in Südamerika und im Fernen Osten arbeitete. Als Hausversicherer dieses weitgespannten Unternehmens hatte die Vaterländische deren im Ausland gelegenen Besitztümer mit ganz beträchtlichen Summen versichert.

So erstreckte sich das Tätigkeitsfeld von Herrn Ziegler auch auf ausländische Staaten. Bereits im Jahre 1824 wurden von ihm Agenturen in Kopenhagen und St. Petersburg eingerichtet. 1825 und 1826 folgten Vertretungen in Zürich, Stockholm und Rotterdam. Die Vaterländische war damit die erste deutsche Versicherungsgesellschaft, die den Schritt ins Ausland unternahm. Andere Gesellschaften haben überwiegend erst nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 diesen Weg beschritten. Auch die Nordstern-Gesellschaften haben etwa seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in ständiger Tradition das Auslandsgeschäft bis heute sorgsam gepflegt.

An öffentlichen Brandkassen, vielfach schon Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gegründet, bestand übrigens im Königreich Hannover schon zur damaligen Zeit kein Mangel.

Im Jahre 1823 richtete Herr Ziegler in Hannover, der Residenzstadt des Königs Georg IV. von Großbritannien und Hannover, eine Agentur ein. Fast gleichzeitig aber auch in den folgenden Jahren wurden im Königreich weitere Agenturen gegründet, die zunächst der Verwaltung in Elberfeld unterstellt waren. Erst mit der Verbesserung der Verkehrsverbindungen nach Fertigstellung der verschiedenen Eisenbahnlinien und auf Grund der wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Residenzstadt, erfolgte nach und nach eine Überführung der Bestände in die Haupt- und spätere Generalagentur Hannover. Dieser Prozess erstreckte sich über einen Zeitraum von etwa 50 Jahren.

Am 24. Januar 1828 erschien eine königlich-hannoversche Verordnung, nach der u.a. alle Privat-Feuerversicherungs-Gesellschaften die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb bei dem Kabinetts-Ministerium in Hannover und ihre Agenten außerdem noch die Bestätigung durch die einzelnen Landdrosteien nachsuchen mussten. Die ganze Verordnung war insoweit im Interesse der durch Hoheitsakte begründeten öffentlich-rechtlichen Anstalten gehalten, als ihre rigorose Anwendung seitens der Behörden mit den Jahren für wenige zugelassene Gesellschaften tatsächlich ein Versicherungsmonopol schaffen konnte. Die Vaterländische suchte aufgrund dieser Verordnung sowohl die Konzession als auch die Bestätigung ihrer Agenten nach und bekam sie auch.

1835 hatte die 1825 gegründete Aachener Feuerversicherungs-Gesellschaft im Königreich Hannover die Konzession als "inländische Gesellschaft" erhalten. Sie übernahm den Nachrichten zufolge das Geschäft der sich auflösenden, 1830 gegründeten Hannoverschen Versicherungs-Gesellschaft a.G., nachdem sich die vorher mit der Vaterländischen geführten Fusionsverhandlungen zerschlagen hatten.

Die Direktion der Vaterländischen versuchte daraufhin, durch eine Eingabe an das Ministerium in Hannover eine Gleichstellung mit der Aachener anzustreben, die infolge von Vorgängen in Bayern jetzt "Aachener und Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft in Aachen" firmierte und - sei es mit Recht oder Unrecht - in den Verdacht kam, für das Königreich Hannover als Privatgesellschaft ein Monopol anzustreben. Dieser Verdacht schien um so mehr berechtigt, als die Nachricht einging, dass ein zweimaliges Konzessionsgesuch der 1839 in Köln gegründeten Colonia Feuer-Versicherungs-Gesellschaft abschlägig beschieden worden sei und die hannoversche Behörde sich der Aachen-Münchener gegenüber sehr gewogen zeigte.

Man sah daraufhin ein, dass man sich notfalls durch ein mäßiges Opfer, bestehend in der Überlassung eines jährlichen, nicht zu hohen Fixums für  gemeinnützige Zwecke, die Gleichstellung mit den Aachenern erkaufen musste. Es wurden die nötigen Verhandlungen aber erst im Jahre 1842 eingeleitet, in dem die jährliche Prämieneinnahme auf ca. Thlr. 150.000 gestiegen war. Die Verhandlungen zerschlugen sich indessen und erst am 18. Dezember 1855 erfolgte eine abermalige Eingabe. Sie musste am 31. März 1856 wiederholt werden, ehe am 3. Oktober 1856 die Entscheidung erfolgte, nach der nunmehr der Vaterländischen die Rechte einer "inländischen Gesellschaft" verliehen wurden. Das Prädikat kostete aber eine jährliche Abgabe von von Thlr. 4.000 für gemeinnützige Zwecke. Die Regierung versuchte im Jahre 1859 eine Erhöhung diese Betrages auf Thlr. 6.700 durchzusetzen, nahm aber auf energische Vorstellungen der Gesellschaft davon Abstand.                           

Nur einmal noch, im Jahre 1865, musste eine Verordnung der Hannoverschen Regierung befolgt und für das Königreich Hannover ein Bevollmächtigter ernannt werden, bis der preußisch-österreichische Krieg von 1866 und die Umwandlung des Königreichs Hannover in eine peußische Provinz (Friede von Prag - 23. August 1866) den Erschwernissen des Geschäftsbetriebes und den Abgaben, die in gar keinem Verhältnis zu den Einnahmen standen, ein Ende machte. 

Zurück zur Agentur in Hannover, sie wird im Jahre 1829 zur Hauptagentur ernannt und auf die Firma Niemeitz und Berger übertragen. Ab 1833 übernimmt Herr Berger die Hauptagentur in alleiniger Verantwortung. Neben der Hauptagentur führte er noch die Agentur der Allgemeinen Rentenanstalt in Stuttgart und vertrat auch die Berlinische Lebensversicherung, er konnte seinen Kunden also auch Lebensversicherungen anbieten.

In den Jahren 1845 bis 1857 werden die Bezirke (später Regierungsbezirke) Hildesheim, Hannoversch-Münden, Göttingen, Lüneburg und Rinteln, in denen schon selbständige Agenturen bestanden, der Hauptagentur zur Mitverwaltung und Mitbearbeitung übertragen. Das bedeutete nicht nur einen erfreulichen Prämiernzuwachs, sondern brachte auch eine größere Verantwortung und eine erhebliche Ausweitung des Arbeitsbereiches. Damit stellte sich nämlich auch die Aufgabe, die teilweise recht ausgedehnten Landbezirke zu bereisen und organisatorisch zu bearbeiten. Das war inzwischen leichter möglich geworden, nachdem die Eisenbahn als Verkehrsmittel entwickelt und die verschiedenen Strecken im Königreich Hannover nach und nach fertiggestellt worden waren.

Es zeigte sich aber auch, dass die Reisen von Herrn Berger nicht mehr allein durchgeführt werden konnten. So bot es sich an, in gleicher Weise wie in der Direktionsverwaltung je nach Bedarf Inspektoren einzustellen und auf diese die Reisetätigkeit mit zu übertragen.

Die Hauptagentur wird mit der Übertragung der Leitung auf den Sohn von Herrn Berger im Jahre 1857 zur Generalagentur erhoben. Das Büro richtete Herr Berger jr. innerhalb seiner Wohnung in der Schillerstraße 31 ein. Aus der Tatsache, dass Herr Berger jr. (wie schon sein Vater) eine tägliche Bürozeit von 8,00 bis 5,30 Uhr festgesetzt hatte, lässt sich der Schluss ziehen, dass er im Büro ein oder mehrere Angestellte beschäftigte. Aus der nebenberuflichen Tätigkeit der früheren Jahre war die Vertretung inzwischen auch so weit entwickelt worden, dass sie nur noch als Hauptberuf betrieben werden konnte. Leider verstarb Herr Berger jr. am 6. Dezember 1872 plötzlich an einem Gehirnschlag, die Familie Berger war bis dahin über 40 Jahre erfolgreich für die Vaterländische tätig gewesen.

Wegen des plötzlichen Todes des Generalagenten wurde in Elberfeld sofort Herr Inspektor Dr. Rudolf List nach Hannover abkommandiert, ab 1. Januar 1873 übernahm er die Leitung der Generalagentur.

Über sein Wirken bestehen keinerlei Aufzeichnungen mehr, wir wissen nur, dass er während seiner Dienstzeit das Büro mehrfach verlegte. Außerdem wurde in dieser Zeit die organisatorische Eingliederung aller bis dahin noch selbständigen Agenturen in die Generalagentur Hannover abgeschlossen, der Geschäftsstelle unterstand jetzt die gesamte Provinz Hannover.

Am 1. April 1898 wurde den Herren Hagemann und Trusch die Provisionsgeneralagentur übertragen. Beide Herren hatten sich schon seit vielen Jahren im Außendienst der Gesellschaft bewährt. Mit ihnen folgten einige Jahre stetigen Auf- und Ausbaues des Versicherungsbestandes. 

Am 1. Oktober 1911 wird Herr Ernst Bues als Volontär (ohne Gehaltsbezüge) eingestellt. Er erinnert sich:

"Die Angestellten arbeiteten an hohen Stehpulten. Dazu gab es entsprechend hohe vierbeinige Sitzgelegenheiten. Briefe wurden fast ausschließlich mit der Hand und mit Kopiertinte geschrieben und anschließend unter der Kopierpresse kopiert. Das Anfertigen der Versicherungsscheine und Nachträge erfolgte ebenfalls mit der Hand. Dazu musste der Angestellte die "Schönschrift" beherrschen, die intensiv in der Schule gelehrt wurde. Aus dieser Zeit hat sich im Angestelltenberuf die Gewohnheit erhalten, dass bei einer Bewerbung mindestens der Lebenslauf mit der Hand zu schreiben ist.

Im Büro existierten nach wie vor nur zwei Schreibmaschinen. Bürozeit war an allen Wochentagen von 8 bis 1 Uhr und nachmittags von 3 bis 6 Uhr. Am Sonnabend war von 8 bis 1 Uhr Dienstzeit. Sonntags erschien immer Herr Triesch von 9 bis 11 Uhr im Büro, und er legte Wert darauf, dass auch der Bürovorsteher und die Außenbeamten erschienen. Es wäre doch möglich gewesen, dass etwas Dringendes zu besprechen war.

Für die beiden Generalagenten bestand ein Telefonanschluss. Ebenso ist beim Kaiserlich-Deutschen-Postamt Nr. 1 in Hannover ein Postabholfach eingerichtet, aus dem der Bürodiener Lescinski (nach dem Krieg Fritz Schnur) dreimal täglich die eingegangenen Briefe abzuholen hatte. Schließlich war auch ein Postscheckkonto für den bargeldlosen Geldverkehr vorhanden, das über Jahrzehnte hinweg bis heute immer noch unter der Kontonummer 916 geführt wird."

Im gesamten Bereich bestanden laut einem zufällig erhalten gebliebenen Agenturverzeichnis von 1900 rund 360 Agenturen, die für die Generalagentur Versicherungen vermittelten. Der Geschäftsbetrieb erstreckte sich dabei ausschließlich auf die Feuerversicherung sowie die Nebenzweige Einbruch-Diebstahl und Glas. Hagelversicherungen wurden an die "Berliner Hagel" vermittelt, ganz am Rande wurden auch Lebensversicherungen abgeschlossen.

Eine erhalten gebliebene Gehaltsliste für die Zeit von September 1912 bis Juni 1913 weist aus, dass in der Geschäftsstelle drei Außenbeamte und 19 Innenbeamte tätig waren. Der Büroleiter und Prokurist Manrau erhielt ein Salär von M 250, während die Bezüge der anderen Angestellten zwischen M 15 und M 150 lagen. Interessant ist, dass die Liste keinen Steuerabzug enthält; Abzüge werden gemacht für eine Altersversicherung, die Ortskrankenkasse und für die Angestelltenversicherung.

Die Vaterländische baute ihre Position im Jahre 1914 durch die Fusion der Kölner "Rhenania" aus, die damals nur die Sparten Unfall und Haftpflicht betrieb. Die nunmehr "Vaterländische und Rhenania" verfügte nach der Fusion über eine Prämieneinnahme von 20 Millionen Mark.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte auch der Generalagentur eine Reihe von Veränderungen. Bedingt durch die Einberufung der Wehrpflichtigen, wurden nun mehr weibliche Angestellte für den Bürodienst eingestellt. 1915 schied Herr Hagemann altersbedingt aus dem Sozietätsverhältnis aus. Formell wurde an seiner Stelle Herr Prokurist Arnhold, Leiter der Buchhaltung in Elberfeld, als Mitteilhaber neben Herrn Trusch eingesetzt, ohne allerdings jemals in Erscheinung zu treten.

Nach dem Krieg veränderten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland massiv. Trotzdem sind in den Jahren 1918 bis 1921 im gesamten Land 106 neue Versicherungsgesellschaften ins Leben gerufen worden, in den Jahren 1922 und 1923 weitere 170. Alle diese Neugründungen gingen noch während der Inflation oder nach ihrem Ende sang- und klanglos ein.

Bedingt durch die Zeitumstände bedurfte das Büro einer gewissen Neuordnung. Vor allem aber näherte sich die deutsche Währung in ihrem Verfall dem Höhepunkt. Das Geld, das morgens einging, war am Nachmittag oft nur noch 50 % wert, da der Dollar als Wertmesser an der Mittagsbörse um 100 % gestiegen war. Aufgrund dieser Ausnahmesituation wurde das morgens eingegangene Geld je nach der Menge an einen Teil der Angestellten als Abschlagszahlung auf das Gehalt ausgegeben. Anschließend wurden diese Mitarbeiter für kurze Zeit beurlaubt, um noch am Vormittag die notwendigsten Einkäufe erledigen zu können. Geldüberweisungen an die Direktion waren fast sinnlos geworden, weil sich das Geld während der Laufzeit der Überweisung auf einen Bruchteil des Wertes vermindert hatte. Wer die Inflationszeit  nicht miterlebt hat, kann sich in die Zustände des Jahres 1923 überhaupt nicht hineindenken; und wer die Zeit miterlebt hat, kann sich nachträglich nur noch sehr schwer vorstellen, wie die Menschen durch diese Katastrophe gekommen sind.

Das Ende der Inflation wurde am 15. November 1923 durch eine neue Währungsordnung erzielt: Währungseinheit ist nun die Rentenmark. Eine Rentenmark hatte in der Umstellung den Wert von einer Billion (!!) Papiermark, das ist eine Zahl mit zwölf Nullen.

Die bestehenden Sachversicherungen waren durch den Währungsverfall wertlos geworden und auf Grund des Währungsgesetzes erloschen. alle bis dahin bestehenden Verträge mussten durch die Aufnahme neuer Anträge auf die neue Währung umgestellt werden und das in kürzester Frist, um nicht zu viele Verträge an die Konkurrenz zu verlieren. Für die Mitarbeiter im Außen- und Innendienst ein Einsatz mit großen Schwierigkeiten, aber man war letztlich erfolgreich.

Im Jahre 1925 war von der Zentrale in Elberfeld die Vaterländische Kreditversicherung gegründet worden. Alle Geschäftstellen wurden angehalten, neben dem konventionellen Geschäft auch Kreditversicherungen zu werben und zu vermitteln. Innerhalb der Kundenkreise in Hannover, dürfte aber kein ausreichender Bedarf vorhanden gewesen sein. Das Geschäftsvolumen hatte sich dank intensiver organisatorischer Tätigkeit ohnehin nach und nach vergrößert.

Im Jahre 1929 setzte bei der Vaterländischen eine Entwicklung ein, die zur Fusion durch die Nordstern Allgemeine Versicherungs-AG führte. Die Gründe lagen hauptsächlich in der Kreditversicherung, der die jetzt einsetzende Weltwirtschaftskrise so starke Verluste gebracht hatte, dass selbst die ansonsten noch gesunde Muttergesellschaft sie nicht mehr ausgleichen konnte. Zum Zeitpunkt der Fusion verwaltete der Nordstern ein Prämienvolumen von rd. 16 Millionen RM, während von der Vaterländischen eine Prämieneinnahme von über 54 Millionen RM eingebracht wurde.           

Die Geschäftsstelle Hannover wurde durch die Fusion nun eine Geschäftsstelle der Nordstern Allgemeine, die alle Mitarbeiter übernahm. Die Firma Hegemann und Trusch wurde aufgelöst und im Handelsregister gelöscht. Zum alleinigen Geschäftstellenleiter wurde Herr Dr. Ernst Bues bestimmt. Die Geschäftstelle erhielt die Bezeichnung Bezirksdirektion, der Leiter den Titel Bezirksdirektor. Die Zusammenlegung mit der wesentlich kleineren Bezirksdirektion der Nordstern Allgemeine, die seit Ende 1867 zunächst als Generalagentur der Preußischen Feuerversicherung in Hannover tätig war, erfolgte aber erst am 1. Oktober 1936. Bis dahin arbeiteten beide Betriebe völlig unabhängig voneinander.

Für die Bezirksdirektion Hannover brachte die Summenherabsetzung als Folge der Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1931 ein  spürbares Zurückgehen der Prämieneinnahme. Bei der Direktion der Gesellschaft summierte sich der Prämienschwund zu einer beachtlichen Größe. Naturgemäß ließen sich die Kosten nicht in gleicher Weise senken. Die daraus resultierenden Schwierigkeiten zwangen das Unternehmen 1932 zu einer Kapitalumstellung und damit zur Übernahme der Aktienmehrheit durch die befreundeten Gesellschaften der Rheinischen Gruppe, Colonia und Aachen-Münchener. Der bis dahin noch im Firmennamen enthaltene Name der Vaterländischen verschwand bei dieser Gelegenheit, ab jetzt war es nur noch die Nordstern Allgemeine Versicherungs-AG.

Ab 1934 vergrößerte sich der Bestand der Bezirksdirektion in einer ständigen Aufwärtsentwicklung. Unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden im gesamten Bereich etwa 400 überwiegend nebenberufliche Agenturen.

Während des Krieges stagnierte der Geschäftsbetrieb. Alle wehrfähigen Mitarbeiter waren eingezogen, auch die Außendienstler fehlten. Im wesentlichen beschränkte man sich auf die Verwaltung der bestehenden Verträge.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943 erlebte Hannover seinen schwersten Luftangriff. Das 350 qm. große Büro in der Answaldtraße, das die Geschäftstelle seit dem 1. Oktober 1914 innehatte, wurde dabei total zerstört. Die gesamte Einrichtung, alle Vertrags- und Schadenakten, Agentur- und Personalunterlagen waren vernichtet. Im Hause des Vertreters Strate in Rethen fand man in drei kleinen Räumen mit 50 qm. ein Notquartier. Mit großer persönlicher Opferbereitschaft der Mitarbeiter lief hier der Betrieb so gut wie möglich weiter, bis er in den letzten Kriegswochen völlig zum Erliegen kam. Erst nach dem Einmarsch der  alliierten Truppen kehrte die Belegschaft an den Arbeitsplatz in Rethen zurück. Nach und nach stellten sich auch Mitarbeiter die aus der Gefangenschaft entlassen worden waren ein. So wurde das Notbüro bald zu eng, ein ordnungsgemäßes Arbeiten war kaum noch möglich.

Auf der Suche nach größeren Büroräumen konzentrierte man sich schließlich auf das  Haus Prinzenstraße 16, das der Nordstern Leben gehörte, in den oberen Geschossen aber zerstört war. Nach mehrfacher Ablehnung bekam man zwar im Oktober 1947 schließlich die Baugenehmigung aber die Materialbeschaffung machte solche Schwierigkeiten, dass die Bauarbeiten erst im Juli 1948 beendet werden konnten. Wenige Wochen nach der Währungsreform, am 4. August 1948, zog man endlich in die neugeschaffenen Büroräume ein.

Da das Haus der Nordstern Leben gehörte, war auch die wesentlich kleinere Geschäftstelle dieser Gesellschaft hier in drei Räumen selbständig untergebracht. Ihr Weg von der Einrichtung Ende 1868 bis ins Jahr 1949 war aber keine reine Erfolgsgeschichte. 

Die Versuche des 1866 in Berlin gegründeten Nordstern Lebensversicherungs-AG in der gerade neu geschaffenen Provinz Hannover bzw. in der Stadt Hannover Fuß zu fassen, stießen anfangs und auch später auf sichtliche Schwierigkeiten. Ob diese zunächst mehr politischer Natur waren - das ungeliebte Preußen unter Bismarcks Führung hatte ja den hannoverschen König Georg IV. abgesetzt und aus seinem Königreich eine Provinz gemacht - oder ob die Schwierigkeiten eher in den Konkurrenzverhältnissen gegenüber den eingeführten englischen Gesellschaften zu suchen waren, lässt sich nachträglich nur schwer entscheiden. Vielleicht aber hatte man bei der personellen Auswahl der Generalagenten nicht immer eine glückliche Hand. Jedenfalls ist für die Geschäftstelle der Nordstern-Leben in Hannover kennzeichnend, dass ihre Geschichte in den ersten fünfzig Jahren durch einen ständigen Wechsel der Generalagenten geprägt ist.

Erst vom Jahre 1904 an lässt sich in der Lebensgeschäftsstelle eine gewisse Stetigkeit und Beständigkeit erkennen. Schließlich erhielten die Bemühungen eines wieder einmal neuen Direktions-Bevollmächtigten 1908 eine beachtliche Förderung dadurch, dass die in Elberfeld beheimatete, 1872 gegründete Vaterländische Lebensversicherungs-Gesellschaft, von Nordstern Leben fusioniert wurde.

Während des Ersten Weltkrieges und auch in den ersten Nachkriegsjahren gab es kaum erwähnenswerte Entwicklungen, abgesehen davon, dass der Betrieb während der Inflation zum Erliegen kam. Erst nach der Stabilisierung der Währung im Jahre 1924, konnte die Geschäftsstelle wieder neu besetzt werden. Damit begann dann aber auch eine stetige Aufwärtsentwicklung, der erst der Zweite Weltkrieg ein Ende setzte.

Weil sich der Leiter, Herrn Dr. von Reichel weigerte, seine Provisionsgeschäftsstelle in eine Verwaltungsgeschäftsstelle umwandeln zu lassen, wurde 1936 von der Direktion der Nordstern Leben in Hannover eine zusätzliche Verwaltungsgeschäftsstelle eingerichtet. Die wurde aber nie eine echte Konkurrenz und 1943 wieder aufgelöst. Mit dem Tod von Herrn Dr. von Reichel im Mai 1943, war allerdings dann die Provisions-geschäftstelle verwaist und die wenigen, übrig gebliebenen weiblichen Angestellten mussten den Betrieb aufrechterhalten.

Zum Glück überstanden die Büroräume den Krieg im 1. Obergeschoss des Hauses in der Prinzenstraße mit nur geringen Schäden. Es fand sich auch schon im Sommer 1945 ein neuer Leiter in Gestalt eines Mitarbeiters, der sich von Magdeburg nach Hannover abgesetzt hatte. Die wirtschaftlichen und personellen Schwierigkeiten in den ersten Nachkriegsjahren machten aber nicht nur dieser Lebens-Geschäftsstelle schwer zu schaffen. Erfolge stellten sich nicht ein, es gelang auch nicht, eine brauchbare Organisation aufzubauen. Das änderte sich erst grundlegend durch den am 1. Juni 1949 erfolgten Zusammenschluss mit der Bezirksdirektion der Nordstern Allgemeine, die gleichzeitig zur Filialdirektion für beide Gesellschaften erhoben wurde.

Die fünfziger Jahre waren für die größer gewordene Filialdirektion gekennzeichnet durch das Bemühen der Geschäftsleitung, die durch den Krieg hinterlassenen Wunden zu schließen. Sowohl der Innendienst als auch der Außendienst bedurften der Ergänzung durch neue Mitarbeiter. Man ließ sich aber auch die systematische Pflege des vorhandenen Bestandes angelegen sein. Insgesamt wurden jedenfalls recht erfreuliche Zuwachsraten erzielt. Auf der anderen Seite wurde durch die vergrößerte Mitarbeiterzahl der Büroraum zu klein. Die anderen Mieter im Haus zeigten dafür Verständnis und zogen nach und nach aus. Unter voller Aufrechterhaltung des Bürobetriebes konnte am 1. April 1957 der Umbau des Hauses zur Vergrößerung der selbstgenutzten Bürofläche begonnen und am 31. Dezember 1960 abgeschlossen werden.

Aus dem Archiv von Adalbert Gniesmer

         Betriebsausflug der FD H 1952 in Barsinghausen

Die sechziger Jahre waren wirtschaftlich gekennzeichnet durch die Vollbeschäftigung. Der Arbeitsmarkt war leergefegt, Fachkräfte waren absolute Mangelware. Der allgemeine Aufwärtstrend brachte steigende Prämieneinnahmen. Die Geschäftsleitungen waren schon unzufrieden, wenn der jährliche Zuwachs unter 20 % blieb. Man sprach vom sogenannten Prämienhunger, der nicht nur den Zuwachs beeinflusste, sondern auch unerfreuliche Konkurrenzverhältnisse herbeiführte. Es kam zu Prämien-unterbietungen und einem bedrohlichen Prämienverfall, insbesondere im Feuer-Industriegeschäft.

Dazu kam noch das neue Zauberwort, "Sanierung des Geschäftes". Es wurden zwar gewisse Erfolge erzielt, es kam aber auch zum Verlust von langjährigen Geschäftsverbindungen. Durch die Folgen dieser an sich ungesunden Entwicklung ergab sich für die Filialdirektion eine Stagnation, ja sogar ein leichter Rückgang der Prämieneinnahmen.

Für die inzwischen erreichte Größenordnung der Geschäftstelle war das Haus in der Prinzenstraße zu klein geworden. In der Zeit von 1955 bis 1970 hatte sich die Prämieneinnahme für die Allgemeine vervierfacht, die Versicherungssumme in Leben die achtfache Höhe erreicht. Am 1. Oktober 1971 kaufte die Gesellschaft schließlich auf mehrfaches Drängen der Leitung der Filialdirektion die Grundstücke Kurt-Schumache-Str. 22-24. Die Freimachung des Hauses - insbesondere von einem Mieter mit einem langjährigen Mietvertrag - erforderte einige Jahre, bis es endlich im Sommer 1974 zum Abbruch der alten Baulichkeiten kam.

Nach einem Höchststand von 160 im Jahre 1969, lag die Zahl der Mitarbeiter der Filialdirektion 1976 bei 136.       

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Redaktioneller Nachtrag:

Der vorstehende Text ist nur ein Auszug aus den einzelnen Kapiteln der von Herrn Striezel erstellten Dokumentation über die Geschäftstelle der Vaterländischen Feuerversicherung, der Geschäftstelle der Preußischen Feuerversicherung (später Nordstern Allgemeine) und der Geschäftstelle der Nordstern Leben. Die Geschäftstellenleiter, der Grundbesitz, die Zahl der Angestellten und die Prämieneinnahmen sind weitere Themen des Buches.

Herr Karl-Heinz Striezel war lange Jahre Innendienstleiter der Filialdirektion Hannover. Seine Aufzeichnungen beendete er 1976 mit seinem Eintritt in den Ruhestand. Er blieb aber "seiner" Filialdirektion auch weiterhin eng verbunden, bis er am 24. August 1991, einen Monat nach seinem 80. Geburtstag, plötzlich verstarb. Ich freue mich, einen wesentlichen Teil seiner Dokumentation in meiner Homepage veröffentlichen zu können. Das Buchexemplar aus dem ich hier zitiere, hat der letzte Innendienstleiter der Nordstern-Filialdirektion Hannover, Herr Bernd Meyer, vor einigen Wochen in einem Antiquariat erstanden und mir freundlicherweise überlassen. Herr Meyer ist heute Vorsitzender des Vorstandes der Landesschadenhilfe VaG. in Bad Fallingbostel.

"Bolero" - Komponiert und gespielt von Fredy Dörpinghaus