Mitte März 1945. Im Fallschirm-Panzerkorps "Hermann Göring" in Berlin, wird die 1. Ersatz und Ausbildungsbrigade mit den Regimentern 1 und 2 abgeschrieben. Sie war bei der russischen Januar-Offensive an der Weichsel schwer getroffen und auf dem Rückzug noch weiter dezimiert worden. Schließlich ging der Rest als Festungsbesatzung in Graudenz verloren. Jetzt wird die 2. Ersatz und Ausbildungsbrigade HG mit den Regimentern 3 und 4 aufgestellt. Sie soll im Rahmen des noch immer "Heeresgruppe Weichsel" genannten Verbandes, die Front an der Oder und damit auch den Verteidigungsring der Reichshauptstadt verstärken. Zum Chef der Heeresgruppe wird am 20. März 1945, als Nachfolger von Heinrich Himmler, der erfahrene Generaloberst Gotthard Heinrici ernannt.
Die personelle Situation des Korps zwingt die Führung dazu, hauptsächlich auf die in der Ausbildung befindlichen Rekruten der Jahrgänge 1927 und 1928 zurückzugreifen. Hinzu kommen die von der fast zum Erliegen gekommenen Luftwaffe nicht mehr benötigten Angehörigen des fliegenden und des Bodenpersonals. An erfahrenen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften mangelt es dagegen. Zugeordnet wurde der Brigade außerdem noch das Fallschirmjäger-Ersatz- und Ausbildungsregiment 1, nach seinem österreichichen Kommandeur, Major und Ritterkreuzträger Kratzert, einfach Regiment Kratzert genannt.
Nach dem Beginn der russischen Großoffensive gegen Berlin am 16. April und die damit verbundenen weiteren Vorstöße über die Oder, erkannte Generaloberst Heinrici die verheerende Entwicklung. Er wollte auf keinen Fall einen aussichtslosen Kampf bis zur letzten Patrone und verweigerte dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) die Durchsetzung der entsprechenden Befehle. Er erteilte auch den für unsere 2. Brigade geltenden Rückzugsbefehl, als am 26. und 27. April an der Oder die Gefahr der Einkesselung drohte.
Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Keitel, hatte am 24. April das Führerhauptquartier verlassen, um in völliger Verkennung der Realität den Widerstand gegen die von der Umklammerung bedrohte Reichshauptstadt von außen zu organisieren und zum Erfolg zu führen. Das hatte er dem Führer fest versprochen.
Er war deshalb außer sich, als er bei einer Inspektionsreise am 27. April, den von ihm strikt abgelehnten, aber von Heinrici trotzdem befohlenen Rückzug entdeckte. Sofort machte er sich auf die Suche nach Heinrici, traf ihn an der Straße zwischen Neustrelitz und Neubrandenburg und warf ihm Verrat am Führer, Feigheit, Gehorsamsverweigerung und Sabotage am Endsieg vor. Er schrie, wenn Heinrici einige tausend Fahnenflüchtige erschossen oder aufgehängt hätte, wäre die Lage anders. Heinrici blieb trotz aller Beleidigungen kühl. Er zeigte auf eine vorbeiziehende Kolonne erschöpfter und verwundeter Soldaten, chancenlos geschlagen von einer mehr als fünfzehnfachen, bestens ausgerüsteten Übermacht und sagte: "Herr Feldmarschall, wenn Sie die da erschießen wollen, dann bitte, fangen Sie an!" Keitel drehte sich sprachlos um und verschwand.
Als Heinrici am Abend dann aber auch noch das bedrohte Swinemünde räumem ließ, wurde er von Keitel abgesetzt und mit dem Kriegsgericht bedroht. Dazu kam es aber nicht mehr, weil Keitel noch in der Nacht vor der heranrückenden Roten Armee mit dem auf dem Gut Neu-Roofen bei Fürstenberg seit dem 24. April eingerichteten OKW fliehen musste und sich eiligst nach Schleswig-Holstein absetzte.
Die Chefs der zur Heeresgruppe gehörenden Armeen hatten aus Loyalität gegenüber Heinrice die von Keitel noch am Abend angebotene Nachfolge abggelehnt. Da es unter den gegebenen Umständen aber Tage dauern konnte, bis der daraufhin zum neuen Chef ernannte Generaloberst der Luftwaffe Student seinen Stab erreichen würde, bewegte Keitel den Oberbefehlshaber der zur Heeresgruppe gehörenden 21. Armee, General von Tippelskirch, wenigstens kommissarisch die Leitung zu übernehmen. Tippelskirch blieb dann allerdings konsequent bei der von Heinrici vorgegebenen Taktik: Hinhaltenden Widerstand leisten, den Rückzug zur Elbe sichern und die langsameren Flüchtlingstrecks dabei mitnehmen.
Tippelskirch erreichte es auch in schwierigen Verhandlungen mit dem amerikanischen General Gavin, dass die zurückgehenden Truppen ab dem 2. Mai in amerikanische bzw. britische Kriegsgefangenschaft gehen durften und nicht, wie ursprünglich vorgeshen, der "Roten Armee" überlassen wurden. Bis zum Mittag des 3. Mai konnten sich so mehr als 100.000 Soldaten in Sicherheit bringen.
Das ist nicht an allen Frontabschnitten gelungen. Oft wurden die sich schon in Sicherheit glaubenden deutschen Soldaten von den Amerikanern nach dem Ende des Krieges auf Lastwagen gepackt und im wahrsten Sinne des Wortes den Russen ausgeliefert. Die Soldaten der 1. Panzerarmee wurden in Böhmen erst gar nicht durch die geschlossenen Frontlinien der amerikanischen Streitkräfte gelassen. Sie fielen den Russen oder den tscheschichen Partisanen zum Opfer, wenn sie sich nicht, wie mein Klassen- und HG-Kamerad Günter Waskow, über versteckte Wege nach Bayern durchschlagen konnten. Alle Versuche der deutschen Armeeführung eine faire Lösung wie in Mecklenburg und Brandenburg zu erreichen, waren zuvor an der Naivität der Amerikaner gescheitert.
Wie die letzten Kriegswochen für die 2. Brigade abgelaufen sind, habe ich in der Geschichte "Bewegte Zeiten" im Kapitel "Endzeit" aus meiner Sicht beschrieben. Ich stelle dieses Kapitel etwas gekürzt hier mit dem Titel "Glück gehabt" zusätzlich zu den Schilderungen von drei Kameraden der Brigade, um damit im unmittelbaren Vergleich deutlich zu machen, wie desaströs, chaotisch und aussichtslos die Situation damals war. Sichtbar wird dadurch auch, wie verschieden es am Ende trotz ahnlicher Wege auf dem Rückzug schließlich für uns ausging: Russsische Kriegsgefangenschaft, schwere Verwundung, Amerikanische Kriegsgefangenschaft, schnelle Heimkehr. War das alles nur Glück oder Zufall?
Der Weg in und durch die russische Kriegsgefangenschaft, wird in der nachfolgenden Geschichte, "Die Straße ins Graue", eindrucksvoll aber auch sehr objektiv beschrieben, was bei diesem, mit vielen - auch berechtigten - Emotionen belasteten Thema, keine Selbstverständlichkeit ist.
Einen weitereren Bericht über die Ereignisse an der Oder enthält das Buch "Der Ernstfall" von Dieter Wellershoff. Der Kölner Schriftsteller hatte sich schon Anfang1943 freiwillig zur Division "Hermann Göring" gemeldet. Nach seiner Ausbildung in Holland wurde er zum Begleitkommando HG versetzt und nach seiner Verwundung in Ostpreußen und anschließender Behandlung im Lazarett, im März 1945 der 2. E.u.A. Brigade zugeteilt.
"Die weißen Spiegel" heißt das Buch, in dem Alfred Otte die Entwicklung der Truppe vom Regiment zum Fallschirm-Panzerkorps und die damit verbundenen Kriegseinsätze schildert. Hier in Kurzfassung die einzelnen Stufen:
Januar 1934 Landespolizeigruppe General Göring September 1935 Übernahme in die Luftwaffe als Regiment GG März 1942 Verstärktes Regiment (mot.)HG Juli 1942 Brigade HG November 1942 Division HG Mai 1943 Neuaufstellung als Division HG und Brigade z.b.V. HG (nach dem Untergang der Truppe in Nordafrika) Juli 1943 Panzer-Division HG Mai 1944 Fallschirm-Panzer-Division 1 HG September 1944 Fallschirm-Panzerkorps HG
GG und HG sind die gängigen Abkürzungen.
Ein Jahr zurück: März 1944 in Harderwijk/NL - 6. Panzer-Kompanie - Ich stehe links.