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Die Geschichte der Geschichte .....

Eigentlich fing es damit an, dass mindestens jeder meiner alten Bekannten von mir verlangte: „Was denn - bei den Russen? Erzähl doch mal .....!“

Weihnachten 1947 war ich  - damals gerade 19-jährig - aus der Kriegsgefangenschaft „bei den Russen“ nach Hause zurückgekehrt, in die ich mit erst etwas mehr als 16 Jahren im April 1945 geraten war, und nun wollte jeder wissen: „Mann - wie war denn das? Also erschossen haben sie Dich nicht - aber wie hast Du da gelebt? Habt Ihr genug zu essen gekriegt? Was hast Du da arbeiten müssen? Wie bist Du behandelt worden?“ - und was dergleichen neugierige oder interessierte Fragen mehr sind - und je nachdem, wer dort fragte, wurden meine Berichte ganz verschieden aufgenommen. Die einen wollten es beispielsweise einfach nicht wahr haben, daß ich einen ganzen Sommer in einem „Erholungslager“, praktisch also einem Erholungsheim für Kriegsgefangene, gewesen war - „Aber doch nicht bei den Russen, das kannst Du mir doch nicht erzählen!“ - die anderen meinten, ich hätte doch nun das „Vaterland aller Werktätigen“ mit eigenen Augen gesehen und konnten sich einfach nicht vorstellen, dass in einem Land, über das der Krieg zweimal hinweggegangen war - und was für ein Krieg! - von den materiellen Voraussetzungen dieses Vaterlandes, von dem sie träumten, verdammt wenig übrig geblieben war.....

Irgendwann habe ich dann schließlich selbst geglaubt, dass - ganz gleich, von welcher Seite man die vergangenen drei Jahre betrachtete - meine Erlebnisse so ganz alltäglich schließlich wohl doch  nicht gewesen seien; und von diesem Gedanken bis zu dem Entschluss, das alles einfach mal aufzuschreiben, bevor es bei mir im neuen Alltag unterging, der auf mich einstürmte und bewältigt werden wollte, war eigentlich nur ein kleiner Schritt.

Ein wesentlich größerer Schritt war von diesem Entschluss bis zu seiner Verwirklichung zu tun, denn zum Aufschreiben mussten zunächst einmal die technischen Grundlagen geschaffen werden: man brauchte Papier und ein verwendbares Schreibgerät, und beides war im Frühjahr 1948 noch ziemliche Mangelware.

Irgendwie fand sich im Nachlass meiner Großmutter ein fast unbenutzter „Ashelm“-Geschäftskalender für das Jahr 1944, so ein langes, schmales Buch, dass Großmutter benutzt hatte, um ihre Schneiderei-Einkünfte fürs Finanzamt festzuhalten. Damit - mit der Schneiderei - hatte sie im März aber aufgehört, weil sie krank wurde, und so waren die Seiten eines Dreivierteljahres frei geblieben. Das war jedenfalls erstmal ein Anfang, und dann könnte man ja weiter sehen ..... Feder und Tinte waren einfacher zu beschaffen; die Schreibfedern waren allerdings aus Glas, aber daran konnte man sich gewöhnen. Irgendwo sollte es ja die neueste Erfindung auf diesem Gebiet, den Kugelschreiber, geben; aber wenn überhaupt, dann kostete so ein Gerät zwanzig bis fünfundzwanzig Mark, und so viel Geld hatte ich bei 80 Pfennigen Stundenlohn nicht übrig - auch nicht, wenn mir dafür eine „Schreibleistung von mindestens 2,5 Kilometer Strichlänge“ versprochen wurde.

Also setzte ich mich hin und schrieb; und je mehr ich schrieb, desto mehr fiel mir wieder ein, und als das Dreivierteljahr „Ashelm“ voll und ein halbes Dutzend der gläsernen Schreibfedern abgeschrieben war, fand sich glücklicherweise ein etwas dickeres Diarium im Format DIN A 5 - Nachkriegsproduktion, das reinste Zeitungspapier, auf dem die Tinte verlief und das deswegen mit den harten Bleistiften jener Zeit beschrieben werden musste - und ich war immer noch im Jahre 1945, wenn auch schon beinahe bei Weihnachten.

Orte fielen mir wieder ein, Arbeitsstellen, Episoden - und  Namen; Namen mit gutem Klang - eben „Kumpel“ - und Namen von Leuten, an die ich mich nur ungern erinnerte, weil sie auf die eine oder andere Weise eben nicht das waren, was man damals unter einem „Kumpel“ verstand. Und jeder wollte seinen Platz auf meinem Papier, und er kriegte ihn, die einen wie auch die anderen ..... Wo die wohl jetzt alle steckten?

Dann war das Diarium auch voll, und es fand sich ein anderer Geschäftskalender; aber der war schon für das Jahr 1949, und ich besuchte schon einen Neulehrer-Lehrgang, und meine Mit-“Studenten“ zogen mich gutmütig und ein bisschen ironisch auf: „Na - schreibst Du wieder an Deinen ,Gedanken und Erinnerungen’?  Mann, sieh doch ein - Du bist nun mal nicht Bismarck!“ - und als  der zweite Kalender voll war, da war die Papierlage schon einigermaßen stabil, wir wurden über den Neulehrerkurs versorgt, und so gab es ein zweites Diarium - und als das dann schließlich auch so ziemlich vollgeschrieben  war und ich das Schreibgerät aus der Hand legte - denn ich hatte mich nun endlich zu Weihnachten 1947 glücklich wieder zu Hause ankommen lassen - da schrieb man schon 1950 und ich war Lehrer in einem kleinen Harzdörfchen.

Da saß ich nun mit meinen „Memoiren“ in vier Bänden in drei verschiedenen Formaten, und mit dreierlei Schreibgeräten geschrieben - denn im Jahre 1950 waren Kugelschreiber doch schon wesentlich billiger als 1948, da konnte ich mir so etwas schon leisten - und obendrein war das alles auch noch mit zwei verschiedenen Schriften aufgezeichnet: angefangen hatte ich, wie ich das in der Schule gelernt hatte, in der alten Sütterlin, der sogenannten „deutschen“ Schrift, und als Lehrer schrieb ich dann dem Lehrplan entsprechend wie meine Schüler die neue „Deutsche Normalschrift“. Alles in allem also ein ziemlich chaotisches Durcheinander .....

Aus dem Schrott trieb ich die Ruine einer Schreibmaschine auf. Einer Schreibmaschine ..... eher wohl eines potentiellen Museumsstückes: einer Adler „Triumph Junior“ mit dreifacher Umschaltung (das heißt: drei Zeichen auf einer Taste), mindestens 25 Jahre nicht benutzt und auf einem Hausboden abgestellt, entsprechend eingestaubt und verdreckt, und das Fett in den Lagern total verharzt. Allein die Reinigung verschlang beinahe vier Flaschen Feuerzeugbenzin, dann brauchte ich fast eine Flasche Nähmaschinenöl, um alle Gelenke in dem komplizierten Hebelwerk wieder einigermaßen gangbar zu machen, und schließlich musste ich zwei normale 13-mm-Farbbänder der Länge nach mit ganz feinem Garn und ganz kleinen Stichen von Hand zusammennähen - man stelle sich vor, wie die Hände danach aussahen! Aber das Monstrum brauchte nun mal Farbbänder von 25 mm Breite .....

Irgendwann war das alles geschafft, und weil ich schließlich - aber das war dann schon um  1952 herum  - auch noch 500 Blatt  sogenanntes „Handdruckpapier“ - so etwas ähnliches wie Löschpapier oder wie das Papier, aus dem die weißen Kaffee-Filtertüten gemacht werden - auftreiben konnte, stand einer sauberen Abschrift der „Memoiren“ eigentlich nur noch entgegen, daß ich gar nicht auf einer Schreibmaschine schreiben konnte .....

Das ließ sich aber durch ständige Übung ändern, und was sollte schließlich besser der Übung dienen, als dass ich meine „gesammelten Werke“ abschrieb? Je mehr ich schrieb, desto schneller konnte ich schreiben, und wenn ich auch über ein Anderthalb-Finger-Suchsystem nie herauskam, so war ich doch schließlich mit meiner Leistung zufrieden und mit meiner Vorlage am Ende: die „Memoiren“ lagen auf etwa 300 Seiten in einigermaßen sauberer Schreibmaschinenschrift vor mir .....

Während des Abschreibens tauchte immer wieder der Gedanke auf, ob man nicht irgendwie, irgendwann die Orte der Handlung noch einmal besuchen könnte - nicht gerade Gomel und Rjetschiza oder Stalino, aber wenigstens doch die Schorfheide, in der sich ja das Wichtigste zum Beginn abgespielt hatte.....

Also begann ich mich um den exakten zeitlichen und räumlichen Ablauf der Tage um Ende April - Anfang Mai 1945 zu bemühen. Dafür hatte ich eigentlich zunächst nur einen sicheren Anhaltspunkt: die erste Kriegsgefangenen-Postkarte, die ich im Juni 1946 nach Hause schreiben konnte, und auf der ich als den Tag meiner Gefangennahme den 30. April 1945 mitteilte. Davon, dass dieses Datum sicher war, musste ich ausgehen, und das brachte mich - zurück gerechnet - auf den 26. April als den Tag, an dem der Rückzug aus Liepe begonnen haben musste. Ein zweites Datum - der Tag unserer Ankunft am Madüsee in Pommern auf dem Marsch als Gefangener nach Osten - ließ sich nicht so exakt festlegen. Dort erreichte unsere Bewacher die Nachricht von der Beendigung des Krieges, aber es blieb offen, ob der Anlass für diese Mitteilung die Kapitulation des OKW am 8. Mai oder die Einstellung der Kampfhandlungen in der Tschechoslowakei am 9. Mai gewesen war.

Immerhin war es so ungefähr möglich, für diesen Zeitraum die einzelnen Marschetappen und Aufenthaltsorte nach dem aufgeschriebenen Text festzustellen. Der zeitliche Ablauf war so im Wesentlichen gesichert. Um nun auch den örtlichen Verlauf festzuhalten, war es nötig, den gesamten Weg auf einer Karte abzustecken - und da stieß ich auf ungeahnte Probleme.

Zunächst war die einzige Landkarte, die mir für das Gebiet der Schorfheide zur Verfügung stand, das entsprechende Blatt eines „Atlas des Deutschen Reiches“ im Maßstab 1 : 300 000. Eigentlich erschien mir dieser Maßstab recht ungeeignet; eine Generalstabskarte 1 : 100 000 oder noch besser das Messtischblatt 1 : 25 000 wäre mir lieber gewesen. Aber es gab nun mal nichts anderes ..... Dass der „Atlas“ vermutlich so um die Jahrhundertwende (also um 1900!) erschienen war, machte ihn allerdings noch weniger geeignet; es gab zum Beispiel noch kein Schiffshebewerk in Niederfinow, und auch die Autobahnen waren noch nicht gebaut .....

Immerhin stand Liepe als Anfangsort des Rückzuges fest, und daß der erste Nachtmarsch uns von dort aus in nordwestlicher Richtung über die damalige Reichsstraße 2 und über eine doppelgleisige Bahnlinie - die dann nur die Strecke Eberswalde-Angermünde gewesen sein konnte - sowie schließlich über die Autobahn Berlin-Stettin führte, war auch unumstritten. Aber dann begannen die Probleme - zunächst damit, dass ich den Ort des Überganges über die Autobahn nur vage ahnen konnte (weil die ja nicht auf der Karte eingezeichnet war), dann aber besonders, weil es das Ziel des Marsches auf dieser Karte anscheinend gar nicht gab.

Ich erinnerte mich genau, daß ich bei der Ankunft in jenem Dorf auf einer verblichenen, ehemals weiß gestrichenen Holztafel, wie sie in Preußen im neunzehnten Jahrhundert als Ortsschild im Dorf (in der Regel am „Spritzenhaus“, dem Feuerwehr-Gerätehaus) angebracht  werden mussten, den Namen „Amt Grimnitz“ in der seinerzeit üblichen Kanzleischrift gelesen hatte:

                               Amt Grimnitz

Einen Ort dieses Namens fand ich aber auf der Karte nicht ..... Es gab den - ob seiner Größe nicht zu übersehenden - Grimnitzsee, es gab an dessen Südufer ein „Alt-Grimnitz“, und genau auf einem schon ziemlich abgegriffenen Kniff der Karte war noch östlich des Sees ein Ort „N.....mnitz“ zu ahnen. Das konnte möglicherweise „Neu-Grimnitz“ geheißen haben.

Sollte ich mich - kaputt und müde, wie ich damals nach dem Nachtmarsch war - geirrt und vielleicht statt „Alt-Grimnitz“ ein ähnlich aussehendes „Amt Grimnitz“ zu sehen geglaubt haben? Möglich wäre das - aber dann hätten wir die letzten Kilometer am Ufer des Grimnitzsees entlang kommen müssen, und das wäre mir denn wohl doch aufgefallen?

„Neu-Grimnitz“ für „Amt Grimnitz“ gehalten zu haben erschien mir wesentlich unwahrscheinlicher; aber wenn ich die Lage von diesem „Neu-Grimnitz“ zu der nicht eingezeichneten Autobahn  in Beziehung brachte - also, die Stellung, deren Anlage seinerzeit von uns verlangt wurde,  hätte dort taktisch sicherlich mehr Berechtigung gehabt .....

Darum ging ich als Hypothese zunächst von Neu-Grimnitz aus. Der zweite Nachtmarsch führte dann in Richtung Nordwest in ein ausgedehntes Sumpfgebiet, hinter dem ein Dorf „Pralow“ oder „Parlow“ liegen mußte - und tatsächlich gab es nordwestlich von Neu-Grimnitz hinter der Autobahn den sogenannten „Mellen-See“ der auf der Karte als ziemlich großes Sumpfgebiet eingetragen war - nur hieß das Dorf, das man westlich davon dann erreichte, nicht „Parlow“ und nicht Pralow, sondern „Schmelze“ .....

So etwas stand aber auf dem Ortsschild, an dem wir in der Nacht vom 27. zum 28. April auf eine angekündigte Sprengung warten mussten, mit Bestimmtheit nicht. Der Ortsname begann ganz sicher mit einem „P“.

Etwa 5 Kilometer nördlich von diesem „Schmelze“ fand ich auf der Karte ein Örtchen namens “Poratz“. Da hätte ich das „P“ - sollten wir hier .....? Immerhin hätte der Weg dorthin auch durch einen so blau gestrichelten Geländeabschnitt wie beim Mellensee geführt. Nur - der folgende Ort auf unserem Weg sollte dann „Friedrichswalde“ heißen, und die Straße dorthin mußte durch einen Wald führen, wie ich mich recht sicher erinnerte. Friedrichswalde erreichte man von Poratz aus aber nur über Ringenwalde, und die Straße dorthin und weiter nach Friedrichswalde verlief überwiegend über freies Feld .....

Aber konnte es nicht auch sein, dass ich den größten Teil dieses Weges trotz des Laufens verschlafen hatte und mich nur an das Stückchen Wald am Ortsausgang Ringenwalde erinnern konnte?

In Friedrichswalde erreichte uns der Befehl: „Bis zur Kirche, dann links über die Bahn, auf dem Gut sammeln!“ - Wenn man von Ringenwalde, also von Norden, nach Friedrichswalde hineinkam, war die Bahn jedoch auf der rechten Seite. Das konnte also auch nicht stimmen - oder hieß der Befehl: „Bis zur Kirche, dann über die Bahn, links auf dem Gut sammeln!“? Möglich wäre auch das .....

Modernere Landkarten, die es mittlerweile gab, wie eine „Ausflugskarte für die Umgebung Berlins“ nützten mir gar nichts, denn die reichten im Norden nur bis auf die Höhe von Joachimsthal, und so fehlte genau die Gegend, die mich interessierte.

Unterdessen hatte sich in meinem Leben so einiges geändert, und es hatte mich aus beruflichen Gründen aus meinem Harzdörfchen an den nördlichen Berliner Stadtrand verschlagen. Damit war ich in die Gegend, in der meine aufgezeichneten Erinnerungen begannen, zurückgekehrt. Allerdings saßen in der Reinickendorfer Kaserne, in der alles begann, jetzt die Franzosen und nannten sie „Quartier Napoleon“, im ehemaligen Fliegerhorst Wittstock waren nun sowjetische Jagdflieger untergebracht, und auch in einem großen Teil der westlichen Schorfheide baute sowjetisches Militär einen Flugplatz. Aber die Gebiete östlich der Fernverkehrsstraße 109 - zum größten Teil ehemals „Kaiserliches Hofjagdrevier“ oder später dann „Reichsstiftung Schorfheide“ des „Reichsjägermeisters“ Hermann Göring, wie ich jetzt feststellte - konnten besucht werden, und das war ja gerade die Gegend, die mich interessierte.

Allerdings waren Fahrten mit dem Rad dorthin von meinem Wohnort aus nicht gerade Tagestouren, und so war ich denn jedes Jahr in den großen Ferien zwei bis drei Tage mit Fahrrad und Schlafsack unterwegs, übernachtete am Straßenrand, verpflegte mich aus dem Rucksack und versuchte, Plätze zu finden, die mir bekannt vorhaben.

Zunächst verlief das noch ziemlich unsystematisch, denn fast alles, woran ich mich erinnern zu können glaubte, hatte sich ja an Hand der Karte als zweifelhaft  erwiesen. Dann aber schenkte mir ein Kollege, der diese Fahrten mit Interesse verfolgte (er war, bevor wir uns begegneten, Lehrer in Eichhorst am Werbellinkanal gewesen) zwei Karten, die Licht in das Dunkel brachten: eine alte Straßen- und Eisenbahnkarte von Pommern, die in ihrem Südteil die Schorfheide mit erfaßte und auf der ich einen Ort „Amt Grimnitz“ fand, der seiner Lage nach mit dem späteren „Neu-Grimnitz“ identisch sein mußte, und ein Blatt der Karte 1 : 100 000 des Deutschen Reiches von 1937, und auf der hieß dieses ominöse „Schmelze“ so, wie ich es in meiner Erinnerung hatte - nämlich „Parlow“ - und auf der war nun endlich auch die Autobahn eingezeichnet.

Also waren wir, stellte ich jetzt fest, doch von Süden her nach Friedrichswalde hineingekommen, und dann musste sich alles Folgende am Waldrand westlich von Friedrichswalde abgespielt haben. So nahm ich mir diesen Waldrand vor und suchte dort eine Stelle, in deren Nähe es ein einzelnes Haus, eine Försterei  oder ein Gehöft gab und von der aus ein Blick auf ein etwa einen Kilometer entfernt in einem Grund liegendes anderes Gehöft möglich war. Diese Suche wurde dadurch erheblich erschwert, dass dieser Waldrand scheinbar die Ostbegrenzung sowohl des ehemaligen „Hofjagdreviers“ als auch der Göringschen „Reichsstiftung“ gewesen und deswegen auf seiner gesamten Länge abgegattert war. An manchen Stellen standen die Wildzäune des Kaisers und des Reichsmarschalls drei- und vierfach gestaffelt, und dazwischen wuchs ein Dickicht von Haselsträuchern, Weißdorn, Holunder und dergleichen, das kaum zu passieren war. Andererseits hatten sich gerade in diesem Gestrüpp erheblich mehr Dinge aus den letzten Kriegstagen erhalten als im offenen Hochwald, und außer Karabinern ohne Schloß, Munitionskästen für Maschinengewehre und verbeulten Raketen-Panzerbüchsen fand ich schließlich sogar das Wrack eines 500-ccm-PKW vom Typ NSU „Fiat“ auf dessen Kotflügel sich noch ein weißes Uhrzifferblatt in einem roten Dreieck erkennen ließ. Das war das taktische Zeichen des Regiments, zu dem auch ich damals gehörte, und so einen Kleinwagen  benutzte der Kommandeur unseres Bataillons, dem also wohl hier der Sprit ausgegangen war ...... 

Schließlich wurde ich dann scheinbar wirklich fündig: bei dem Haus, das ich suchte, konnte es sich möglicherweise um das Forsthaus Wucker handeln,  das auf meinen Karten nur als kleines schwarzes Rechteck existierte, weil es nicht ursprünglich eine Försterei, sondern nur eine so genannte „Zaunwärter-Stelle“ gewesen war. Hier hatte ich wahrscheinlich mit zwei Panzerfäusten hinter einer Kartoffelmiete gelegen, und von hier zog unser Kompaniechef mit uns in Richtung Nordwesten ab.

Jedenfalls war das ein fester Punkt, von dem aus ich weitersuchen konnte - auch wenn ich nicht so richtig daran glaubte, nun noch wesentlich mehr zu finden. Was sich am 28. April 1945 ereignete, bevor ich dieses Haus erreichte und auch, was danach passierte, war in meiner Erinnerung ein ziemlich zielloses Hin- und Her- und Weglaufen, wobei wohl die meisten von uns nicht mal gewusst hatten, wovor sie wegliefen. Ich jedenfalls rannte einfach dorthin, wo alle hinrannten; es war ziemlich unmöglich, diese Wege jetzt noch zu rekonstruieren. Aber es gab als nächsten fest zu bestimmenden Punkt ja den ehemaligen Feldflugplatz bei dem an der Fernverkehrsstraße 109 gelegenen Gut Ahlimbsmühle.

Die weitere Sucherei um das Forsthaus Wucker herum erübrigte sich dann auch insofern, als das „Hofjagdrevier“ praktisch in ähnlicher Funktion wieder hergestellt wurde; es hieß jetzt „Staatsjagdgebiet“, und an den Zugängen standen Schlagbäume und Schilder mit der Aufschrift „Sperrgebiet - Betreten und Befahren nur mit Sondergenehmigung!“. Damit war genau der Bereich, der mich noch hätte interessieren müssen, für mich nicht mehr zugänglich.

Aber: wie der Zufall so spielt - in der Stadtschule, in der ich mittlerweile arbeitete, fand sich ein Kollege, der nicht nur seine Kinderzeit auf dem Gut Ahlimbsmühle verbracht, sondern dort auch als Zwölfjähriger das Kriegsende miterlebt hatte. In der Zeit allerdings, in der ich dort als „frischgebackener“ Kriegsgefangener den Feldflugplatz mit aufräumen durfte, war er nicht auf dem Gut, sondern hatte sich mit seiner Mutter ein Stück vom Ort entfernt im Wald verschanzt. So konnten wir uns damals nicht getroffen haben; aber es ergaben sich doch gemeinsame Erinnerungen. Was lag näher, als dass ich die nächste Schorfheidefahrt zu einer Zeit unternahm, als er seine Mutter in Ahlimbsmühle besuchte?

So fand ich den Ort wieder, an dem ich 1945 in Gefangenschaft gegangen war - eine Scheinanlage, die offensichtlich von dem in der Luftlinie nur etwa fünf Kilometer entfernten Göringschen Jagdschlosss „Carinhall“ ablenken sollte. Von dieser Anlage existierte zwar schon lange nichts mehr - immerhin waren wir schon in den sechziger Jahren - aber: „Mensch, so viel, wie wir als Kinder hier rumgetobt sind damals - da kannst Du Dich drauf verlassen, genau hier ist das gewesen!“ - und tatsächlich fanden wir nach einigem Suchen noch den Torso eines der beiden Betonlöwen, die das hölzerne Säulenportal des Bauwerks aus Leisten und Strohmatten  flankiert hatten.

Irgendwo zwischen diesem Punkt und Forsthaus Wucker mußte also die Schonung liegen, in der wir vom 28. zum 29. April übernachtet hatten, und dort musste ich auch die Straße suchen, neben der ich mich stundenlang vor einer vorbeimarschierenden sowjetischen Einheit totgestellt hatte. Aber das alles lag jetzt im Staatsjagdgebiet.

Der Weg von Ahlimbsmühle aus nach der anderen Seite, der Weg in die Gefangenschaft, ließ sich einfacher rekonstruieren; er verlief auf den vorhandenen befestigten Straßen, und die Namen der dabei berührten Orte waren mir richtig in der Erinnerung geblieben: Milmersdorf - Ahrensdorf - Templin - Lychen - Ravensbrück - und Fürstenberg. Das alles ließ sich - nun schon in den 70-er Jahren und mit dem Motorrad bzw. später mit dem „Trabbi“ - „erfahren“ und besichtigen, aber es brachte keine so tief greifenden „Aha-Erlebnisse mehr wie die Suche nach den Wegen vor der Gefangennahme, von denen ein Teil ja immer noch im Dunkel lag.

Dieses Dunkel begann sich erst zu lichten, als im Spätherbst 1989 das aktuelle Kartenmaterial der Nationalen Volksarmee für die Öffentlichkeit zugänglich wurde, und als mir etwa gleichlaufend zwei Erinnerungsbücher westdeutscher Autoren zu jener Zeit, dieser Gegend und meiner Problematik in die Hände fielen. Nach der Lektüre des ersten - „Wegmarken“ von Helmut Hilz - konnte ich Poratz und Ringenwalde mit Sicherheit aus meinen Betrachtungen ausschließen, denn dort hatte der Fallschirmjäger Hilz völlig andere Dinge erlebt, als ich sie in der gleichen Nacht mitgemacht hatte; und nach dem Kapitel „Kriegsende“ in „Der Ernstfall“ von Dieter Wellershoff wurde mir klar, dass unsere Umherrennerei westlich von Friedrichswalde gar nicht so ziel- und planlos war, sondern sich in die Ausführung eines - zwar überholten, aber nicht widerrufenen - Befehls vom 27. April einordnete, der das Dorf Gollin südlich von Ahlimbsmühle als Sammelplatz für das Regiment - oder das, was davon am 28. April noch existierte -  festlegte.

Mit diesem Wissen und dem neuen Kartenmaterial begann ich erneut, die alten Aufzeichnungen durchzuarbeiten, und als das „Staatsjagdgebiet“ aufgehoben wurde und daraus das „Biosphärenreservat Schorfheide“ entstand, zu dem der Zutritt - wenn auch nicht uneingeschränkt, aber immerhin doch grundsätzlich - wieder möglich wurde, wollte ich die noch vorhandenen Lücken „vor Ort“ schließen.

Die erste Fahrt führte mich mit dem Auto zunächst nach Neu-Grimnitz. Das alte Ortsschild fand ich erwartungsgemäß nicht mehr wieder, aber als ich mir den nördlichen Ausgang des Ortes näher ansah und zu diesem Zweck aus dem Auto ausstieg, wußte ich plötzlich genau: hier auf dieser Straße waren wir am Nachmittag des 27. April angetreten und vernahmen diverse Tagesbefehle - einen aus dem „Führerhauptquartier“ über den Rücktritt des Reichsmarschalls aus Gesundheitsgründen, und einen aus dem OKL, dem „Oberkommando der Luftwaffe“, über die Fahnenflucht des gleichen, nun aber „ehemaligen“ Reichsmarschalls und die deswegen erfolgte Umbenennung der Division - aus der „Division Hermann Göring“ wurde die 37. Luftwaffen-Felddivision ..... und dann fiel mir ein - da war doch noch etwas - ein Kompaniebefehl:  Achtzehn Uhr - Sammeln am Friedhof zum Abmarsch .....

Also musste hier der Friedhof in der Nähe sein, und ich brauchte ihn auch nicht lange zu suchen - er lag ein Stückchen weiter, eingefasst von einer dichten Hecke, inmitten der Wiesen und Koppeln, und von seinem Eingang aus gab es einen Ausblick auf das Ufer eines Sees - eben jenen Blick, der sich mir wegen der aufziehenden Gewitterstimmung damals so fest eingeprägt hatte. Also klar - von hier aus waren wir am 27. April in die Nacht hinein marschiert.

Am liebsten wäre ich nun sofort in die gleiche Richtung losgezogen - aber das ging aus zwei Gründen nicht: zum einen hatte ich ja das Auto noch am Ortsausgang stehen, und zum zweiten hatten wir damals unmittelbar nach dem Abmarsch die Autobahn „auf gleicher Höhe“ überquert - und das war bei dem jetzt herrschenden Verkehr zu Fuß wirklich nicht mehr ratsam .....

Ich musste also versuchen, auf normalen Wegen auf die andere Seite der Autobahn zu kommen, und das ging nur auf dem Umweg über Parlow, denn die Straßen im Wald auf der Westseite der Autobahn waren auf der Karte als „für Kraftfahrzeuge gesperrt“ ausgewiesen.

An der einzigen zugelassenen Straße, die von Parlow aus in Richtung Glambeck - und damit in Richtung Autobahn - führte, fiel mir nach kurzer Fahrt auf der rechten Seite eine einfach eingefriedete Fläche von etwa 500 Quadratmetern auf, in deren Mitte ein altes gußeisernes Grabkreuz aus dem 19. Jahrhundert stand. Merkwürdigerweise trug es aber keine Inschrift, und auch die zahlreichen innerhalb der Einfriedung liegenden Findlingsblöcke waren nicht beschriftet. Eine Grabanlage - ein Massengrab - ? Wenn ja - für wen? Und an dieser Stelle erinnerte ich mich plötzlich - niemals während des gesamten Rückzuges von Neugrimnitz ab bis nach Ahlimbsmühle war irgendwann mal von irgendjemanden die Vollzähligkeit einer Einheit festgestellt worden. Man war da, und das interessierte dann erst, wenn „Leute“ gebraucht wurden - oder man war nicht da, und das merkte dann auch keiner. Lagen hier vielleicht diejenigen, die bei unserer Sumpfdurchquerung auf der Strecke geblieben waren, ohne daß uns das aufgefallen war?

Etwa einen Kilometer weiter waren ein paar Leute damit beschäftigt, den Straßengraben, der völlig verwachsen war, in Ordnung zu bringen. Ich hielt an und fragte den mir am nächsten arbeitenden jungen Mann nach der Bedeutung des Kreuzes - und wurde darüber aufgeklärt, daß dort der alte Melliner Friedhof sei. Das Dorf Mellin, dass auf der anderen Straßenseite gelegen habe, sei im frühen 19. Jahrhundert wüst geworden, weil alle Einwohner nach Amerika ausgewandert waren. - Nein, mit dem zweiten Weltkrieg habe das nichts zu tun - und ob damals irgendwann Soldaten durch Parlow gekommen seien - davon hätte ihm sein Großvater nichts erzählt ..... und dass wir damals nachts mit ungefähr hundert Mann durch den Mellensee ins  Dorf gekommen seien, das könne er sich einfach nicht vorstellen ..... in den Mellensee sei mal eine Kuh seiner Großeltern hineingelaufen, die hätten sie nie wieder gesehen - dabei hätte man überall mit sechs Meter langen Stangen nach ihr gestochert - nichts als Wasser und  schwarzer Sumpf ..... aber „Schmelze“ hätte das Dorf früher mal geheißen, das sei richtig; das sei wegen der Glashütte gewesen, die im 18. Jahrhundert am Präßnicksee gestanden habe, so etwa zwei Kilometer nördlich vom Dorf, dort kämen heute noch beim Pflügen Backsteine aus der Erde .....

Die Straße führte nach Glambeck, und dort, so hatte ich bei Wellershoff gelesen, war am 27. der Sammelpunkt für den Regimentsstab. Unsere Stellung bei Neu-Grimnitz sollte wahrscheinlich den Stab gegen Süden decken, und dass sie das nicht konnte, lag offensichtlich daran, dass die sowjetischen Panzer, wie ich das nun wieder bei Hilz gelesen hatte, von Osten (und anscheinend auch schon von Nordwesten) kamen, und dass wir mit unserer Stellung also völlig überflüssig geworden waren.

Mehr ließ sich hier  und im Moment nicht klären, und so korrigierte ich zu Hause meine alten Aufzeichnungen an Hand der wieder aufgetauchten Erinnerungen und vertiefte ich mich dann aufs Neue in die NVA-Karten 1 : 25 000. Auf dem Weg vom Forsthaus Wucker gab es damals eine Situation, in der die uns anführenden Offiziere sich nicht über den einzuschlagenden Weg einig wurden. Da ich jetzt (aus Wellershoffs „Kriegsende“) wusste, dass das Ziel dieses Marsches Gollin sein sollte, fand ich relativ leicht eine Stelle, an der nach links ein Richtweg nach Gollin und nach rechts ein gleichartiger nach Ahlimbsmühle verliefen, und diese Konstellation  machte einen damals aufgekommenen Streit über die einzuschlagende Richtung durchaus wahrscheinlich.

Wir gingen damals jedenfalls nach halbrechts (obwohl, wie ich jetzt feststellte, der halblinke Weg nach Gollin geführt hätte) und damit ziemlich genau nach Norden, in ein Waldgebiet, das bis dahin  wohl noch vom Krieg unberührt geblieben war.

Ein zweiter Anhaltspunkt ergab sich daraus, dass ich mich für den frühen Morgen des 29. April an eine in einer dicken Nebelbank liegende kleine Waldwiese erinnerte. Ursache dieses Nebels konnte nur ein Feuchtgebiet oder ein kleiner Waldsee sein; und ebenso ein Tümpel lag in der vermutlich eingeschlagenen Richtung nördlich der Straße Friedrichswalde-Gollin - und an eine Straße erinnerte ich mich auch - oder richtiger an einen aus Sandsteinplatten gebauten Wasserdurchlass unter einer Straße, in dem ich Unteroffizier Pohlmanns Gewehr - eine sowjetisches Schnellfeuergewehr - versteckte. Dann musste ich also nördlich dieser Straße weiter suchen .....

Diese Erkundung unternahm ich mit der Bahn und zu Fuß, denn wenn auch aus dem „Staatsjagdgebiet“ das „Biosphärenreservat“ geworden war - Autofahren war dort verboten, und dort, wo ich mittlerweile den Ort unserer Übernachtung vom 28. zum 29. suchen zu müssen glaubte, nützte mir ein Auto sowieso nichts, dort waren damals dichte Schonungen und würde folglich heute wohl Hochwald sein.

Die Straße war recht einfach zu finden, und auch der kleine See - eigentlich nur eine etwas größere Wildschweinsuhle - war dort, wo ich ihn der Karte nach suchen mußte. Eine Suhle - und deswegen stand am Waldrand ein funkelnagelneuer Hochsitz ..... Aber halt mal - da hatte doch 1945 auch ein Hochsitz gestanden, einer, zu dem eine Treppe hinaufführte, wie mir jetzt einfiel, keine Leiter - ein Hochsitz für „bessere Herrschaften“, wie sich nicht einmal der Fürst von Stolberg zuhause einen geleistet hatte ..... Da hatte also wohl der dicke Göring hier gejagt.

Nun galt es nur noch, nordwestlich von hier einen geschlossenen Fichtenbestand zu suchen, dann hatte ich meinen Weg in den letzten Apriltagen 1945 fast restlos rekonstruiert. Die Schonung, in der wir die Front und den Krieg über uns hinweggehen ließen, war eine Fichtenschonung, das wusste ich genau; ich hatte unser Mittagessen nämlich nach der durchregneten Nacht auf einem Feuer gekocht, dass ich mit den abgestorbenen Ästen nährte, die ich mir unten von den jungen Bäumen abbrach.

Es gibt in der ganzen Umgebung nur einen geschlossenen Fichtenbestand, Bäume im Alter von etwa 60 Jahren - aber die Stelle, an der wir unsere Waffen beseitigt und eine Nacht im Regen versucht haben zu schlafen - die habe ich nicht mehr exakt ausmachen können. Die Fichten waren zu groß geworden .....

Damit war eigentlich alles Wesentliche geklärt - soweit es in Deutschland geklärt werden konnte. Da gab es aber noch die anschließende Zeit in Belorußland ...... Sollte man nicht auch dort noch etwas suchen können?

Reisen nach Belorußland waren nun - nach der "Perestroika" - auch privat grundsätzlich möglich, und als Vorruheständler hatte ich auch die Zeit dafür - ich begann, mich für diese Möglichkeit zu interessieren. Nur - so einfach auf blauen Dunst hin wollte ich so eine Reise wiederum auch nicht unternehmen. Also suchte ich das Internet nach Aussagen zum Stichwort "Gomel" ab und wurde gleich mehrfach fündig.

Klar, dass ich mir die Satelliten-Aufnahmen der Stadt ansah - und voll Staunen feststellen konnte, dass es offensichtlich das Gebäude noch gab, in dem unser erstes Lager untergebracht war ......Diese Tatsache bestärkte mich in dem Entschluss, solch eine Reise zu versuchen.

Dann gab es eine Website "Gomel - einst und heute" - betreut von einer (wie ich später feststellte, in Amerika lebenden) Einwohnerin von Gomel, die auch eine Kontaktseite für ehemalige Einwohner hatte. Ein wenig fühlte ich mich ja auch als "ehemaliger Einwohner" - und so reihte ich mich in die Reihe der Kontakt Suchenden ein.

Die erste Antwort erhielt ich von der Betreuerin der Website aus den USA - und sie war nicht sehr ermutigend. Sie erinnerte mich an den zweiten Weltkrieg und das Wirken deutscher Truppen in Belorußland - und sie meinte, eine Reise eines Deutschen dorthin könnte auch heute noch durchaus negative Aspekte haben - und ich sollte doch besser verzichten und zu Hause bleiben.

Eine zweite Antwort kam auch aus den USA - ebenfalls ein ausgewanderter Einwohner von Gomel - aber er würde einen jungen Mann in Gomel kennen, der im Selbststudium Deutsch lerne und an einem Briefpartner für Sprachübungen interessiert sei - ob er vermitteln solle?

Natürlich sollte er - und so begann meine Bekanntschaft mit Andreij, zunächst über EMails in deutscher Sprache, später mündlich über eine Chat-Möglichkeit im Computer - auch in deutscher und ab und zu auch in russischer Sprache.

Ja - und nach etwa einem Jahr gegenseitigen Kennenlernens war es dann soweit, daß ich ein Reisebüro mit der Vorbereitung meiner Reise nach Gomel beauftragen konnte ....... Es gab keinerlei "negativen Aspekte", weder auf der Fahrt noch beim Aufenthalt - im Gegenteil, man nahm des Öfteren interessiert zur Kenntnis, daß ich "damals" schon einmal in der Stadt gewesen war und dort bei den ersten Aufbauarbeiten mitgearbeitet hatte. Andreij hatte unseren Aufenthalt vorbereitet, wie es ein professionelles  Reisebüro nicht besser hätte tun können - es gab wirklich ein "Wiedersehen nach über 60 Jahren" .........